Biotina


Das Stiefkind

unter den Vitaminen

Vitamin E ist sicherlich das Vitamin, dem am wenigsten Beachtung geschenkt wird. Da ein Vitamin-E-Mangel so viel Leid verursachen kann, bin ich der Meinung, daß dieser Nährstoff ein eigenes Kapitel für sich verdient.

Kinderärzte erkennen selten einen Vitamin-E-Mangel.

Nicht nur, daß sie ihm meist keine Beachtung schenken, oft werden sie sogar richtig aggressiv, wenn man das Vitamin nur erwähnt. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht eine Mutter ihren Arzt zitieren höre: »Ihr Kind braucht kein Vitamin E, hören Sie auf damit!« »Es ist gefährlich und schadet Ihrem Kind!« »Es macht Ihr Kind zu sexy« oder ähnliche, ganz abwegige Äußerungen. Ein englischer Arzt, der Bedenken hatte, weil ich vom Verzehr von Eisensalzen abrate, schrieb mir, das einzige, was Vitamin E bewirke, sei, Sterilität zu verhindern — eine Information, die seit 50 Jahren überholt ist.

Mein Mann hat einen Lieblingssatz dafür, wenn jemand Falsches für richtig erklärt: »Es ist nicht so, daß er nichts weiß; es ist nur, daß so vieles von dem, was er weiß, falsch ist.« Genauso ist viel von dem, was viele Ärzte über Vitamin E wissen sollen, erstaunlich unrichtig.

Die folgenden Seiten sind eine Zusammenfassung der Erkenntnisse aus mehr als 100 wissenschaftlichen Artikeln, die zum Ergebnis kommen, daß ein Säugling Vitamin E braucht. Viele dieser Artikel sind Forschungsberichte von Untersuchungen, die in den pädiatrischen Abteilungen solch berühmter medizinischer Institute wie Johns Hopkins, der Universität von Pennsylvania, der Universität von Toronto und vielen anderen durchgeführt worden sind.

Lebenswichtiger Nährstoff

Kaninchen brauchen Vitamin E für die DNS- und RNS-Synthese. Das Vitamin ist auch außerordentlich wichtig, weil es Vitamin A, Karotin und die Hormone der Hirnanhangdrüse, Nebennierendrüse und der Geschlechtsdrüsen vor der Zersetzung durch Sauerstoff bewahrt. Außerdem werden bei einer unzureichenden Vitamin-E-Versorgung die essentiellen ungesättigten Fettsäuren, die ein Bestandteil der Zellmembranen sind, durch Sauerstoff zerstört, so daß die Zellen überall im Körper absterben. Eine Substanz, Kreatin, die von den toten Muskelzellen freigesetzt wird, wird mit dem Harn ausgeschieden. Ein Testverfahren, mit dem die Wissenschaftler einen Vitamin-E-Mangel nachweisen, ist, den Harn auf seinen Kreatin-Gehalt zu untersuchen. Je mehr Kreatin im Harn nachzuweisen ist, desto schwerer ist der vorliegende Vitaminmangel.

Wenn die essentiellen ungesättigten Fettsäuren zerstört werden, bilden sich verschiedene schädliche, unter dem Namen Malondialdehyde bekannte Substanzen, die hemmend auf die Zellteilung einwirken können. Diese Substanzen wirken auch schädlich auf Körperproteine und viele Enzyme. Malondialdehyde können auch schuld an inter- und intramuskulären Vernetzungen der Enzymstruktur sein, wodurch die Enzymaktivität verlorengeht. Besonders charakteristisch für einen Vitamin-E-Mangel ist eine abnorme Hautverfärbung, Ceroid-Pigmentierung genannt, die durch die Oxidation ungesättigter Fettsäuren zustande kommt. Je mehr dieser Fettsäuren im Gewebe enthalten sind, desto größer sind die Pigmentablagerungen.

Wenn die Nahrung ausreichend Vitamin E enthält, können die Zellen, Vitamine und Hormone nicht zerstört werden, es bilden sich keine Ceroide, und der Sauerstoffbedarf des Körpers sinkt um ein Vielfaches. Selbst wenn man das Vitamin erst zuführt, nachdem erste, noch nicht allzu gravierende Mangelerscheinungen aufgetreten sind, kann der Zerfall wie auch die Pigmentbildung zum Stillstand gebracht werden. Besteht der Mangel unkontrolliert fort, können die Muskeln irreparabel geschädigt werden.

Vitamin-E-Mängel bei Säuglingen

Blutanalysen zeigen, daß der Vitamin-E-Gehalt bei Neugeborenen relativ gering ist. Dadurch kommt es, daß die essentiellen Fettsäuren in den roten Blutkörperchen, die dem Sauerstoff mehr als irgendwelche anderen Körperzellen ausgesetzt sind, zu einem solchen Grad zerstört werden, daß Säuglinge, vor allem Frühgeburten, in den ersten Lebenstagen an einer hämolytischen Anämie erkranken können.

Ein Testverfahren zum Nachweis eines Vitamin-E-Mangels ist die Messung, wie schnell die roten Blutkörperchen zerfallen, wenn sie einer Wasserstoffsuperoxidlösung ausgesetzt sind. Solche Tests ergeben, daß sich die roten Blutkörperchen zersetzen können, wenn der Vitamin-E-Gehalt im Blut auf unter 0,5 mg pro 100 ml Blut fällt. Je höher dazu noch der Sauerstoffgehalt, desto stärker wird der Zerfallsprozeß der Blutkörperchen beschleunigt. Gesunde Babys kommen mit einem Überschuß an roten Blutkörperchen auf die Welt, von denen einige — das ist ein ganz normaler Vorgang — bald nach der Geburt zerfallen. Bei einem Säugling mit einem Vitamin-E-Mangel kann indes die Hälfte der Blutkörperchen zerfallen; wenn man ihm Vitamin E gibt, verlangsamt sich dieser Prozeß. Solche durch Vitamin-E-Mangel bedingte Anämien treten bei frühgeborenen Kindern ganz besonders schlimm auf, wenn sie das Vitamin nicht bekommen. In vielen Fällen sind sie wahrscheinlich deshalb zu früh geboren, weil schon ein Vitamin-EMangel vorlag.

Dieser Typus einer Anämie konnte indes bei Frühgeborenen dadurch verhütet werden, daß sie ab dem 10. Lebenstag 16,5 I. E. Tokopherolacetat (Vitamin E) täglich erhielten. Durch die Vitamin-E-Zufuhr war die Anämie bald behoben und die Zahl der roten Blutkörperchen gestiegen. Bei experimentell durch einen solchen Vitamin-E-Mangel erzeugten Anämien half kein anderer Nährstoff, sie zu verhüten oder zu beheben.

Bei der Zerstörung der verbrauchten roten Blutkörperchen — ein normaler, kontinuierlicher Vorgang — bildet ihr Farbstoff ein Pigment, Bilirubin, das normalerweise bald nach seiner Entstehung mit der Galle ausgeschieden wird. Bei einem Vitamin-E-Mangel werden die roten Blutkörperchen aber so schnell zerstört, daß dieses Pigment nicht schnell genug abgebaut werden kann, so daß sich viel davon ansammelt und im Gewebe absetzt, wodurch der kleine Säugling gelbsüchtig wird.

Vitamin-E-Mangel

Wenn durch einen Mangel an Vitamin E die roten Blutkörperchen beschleunigt zerfallen, steigt der Bilirubin-Gehalt im Blut abnorm hoch an; der Arzt spricht dann von einer Hyperbilirubinanämie. Wird Vitamin E verordnet, verschwindet das Bilirubin bald aus dem Blut und Anämie wie Gelbsucht sind behoben. Dasselbe geschieht auch, wenn das Kind Muttermilch oder das Vitamin-E-reiche Kolostrum bekommt. Die handelsüblichen Säuglingsnahrungen werden heute generell mit Vitamin E angereichert. Wenn Sie ein solches Produkt nehmen, müssen Sie sich unbedingt auf dem Etikett vergewissern, daß es mindestens 400 I. E. in der täglichen Ration enthält.

Ein Mangel an Vitamin E kann sich schlimm auf das Gehirn auswirken. Der Mangel an roten Blutkörperchen führt zu Sauerstoffmangel, da es die roten Blutkörperchen sind, die dem Gehirn Sauerstoff zuführen. Ein Sauerstoffmangel kann wiederum die Ursache geistiger Unterentwicklung sein. Es ist noch unbekannt, inwieweit Vitamin-E-Mängel für die erschreckend hohe Zahl von Gehirnschäden bei frühgeborenen Kindern verantwortlich sind. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte unsagbar viel Kummer und Leid verhütet und ungezählte Millionen Steuergelder gespart werden können, wenn die Babys Vitamin E bekommen hätten.

Warum Mängelerscheinungen häufiger werden

Das früher reichlich in den Nahrungsmitteln enthaltene Vitamin E findet sich in Vollkornbrot und -getreide und allen naturbelassenen pflanzlichen Ölen. Heute geht dieses Vitamin größtenteils beim Ausmahlen des Mehls und bei der Raffinierung des Öls verloren.

Um diese schon ungute Situation noch zu verschlimmern, verhindern die beliebten Magermilchprodukte die Ausnutzung und Überführung des Vitamin E ins Blut. Wie die Vitamine A, D und K muß Vitamin E durch die Darmwand transportiert werden. Das kann es nur in Verbindung mit einer Gallensubstanz, die im Dünndarm erst nach dem Verzehr von Fett vorhanden ist. Selbst halbfette Kuhmilchprodukte und andere fettarme Erzeugnisse können dazu beitragen, daß sich Vitamin-EMängel entwickeln.

Forscher sind sich einig, daß der Bedarf des Körpergewebes an Vitamin E zusammenhängt mit dem Gehalt von mehrfach ungesättigten Fettsäuren im Zellgewebe, der wiederum vom Anteil des in der Nahrung enthaltenen Fettes bestimmt wird. Mit Ausnahme der Säuglinge, die Babykost mit hoch ungesättigten Fetten wie Maiskeimöl oder Sojaöl erhalten, bekommen die meisten Säuglinge oder Kleinkinder kaum mehr als 7,5 g mehrfach ungesättigter Fettsäuren täglich. Nach diesem Wert richten sich die empfohlenen 400 I. E. Vitamin E. Die amerikanischen Säuglingsnahrungen enthalten viel mehrfach ungesättigte Fette und sind auch ausreichend mit Vitamin E angereichert.

Obwohl man seit 50 Jahren weiß, daß Eisensalze Vitamin E zerstören, wird den Fertignahrungen, Säuglingsbreien und Vitaminpräparaten für Säuglinge so viel Eisen zugesetzt, daß viel von dem bißchen Vitamin E, das der Säugling erhalten kann, zerstört wird. Tatsächlich hat man bei Säuglingen, die Vitamin E bekamen, durch den Zusatz von 1,5 mg Eisensulfat in der Säuglingsnahrung absichtlich eine durch Vitamin-E-Mangel bedingte Anämie erzeugt. Je mehr Salze die Babynahrung enthält, desto mehr Vitamin E braucht es, wenn es gesund bleiben soll. Viele Trockenbreimischungen für Babys werden mit 7 bis 14 mg Eisen pro 100 g Nahrung angereichert. Das Eisen wird in Form von Eisensulfat zugesetzt, das man bei einer 10 prozentigen Ausnutzung als gut resorbierbar betrachtet.

Zum Glück enthält die Muttermilch Vitamin E, wenn sich die Mutter richtig ernährt. Beim Kolostrum, der Vormilch, ist der Vitamin-E-Gehalt siebenmal höher als in der reifen Frauenmilch, aber solang man stillt, bleibt der Vitamin-E-Gehalt im Blut normalerweise hoch. Bei Flaschenkindern dagegen sinkt der Vitamin-E-Gehalt im Blut ab dem dritten Lebenstag und bleibt über Monate hinweg niedrig.

Öl erhöht den Vitamin-E-Bedarf

Kinderärzte am Columbia University College für Allgemeinmedizin und Chirurgie stellten eine vergleichende Untersuchung mit Neugeborenen an, die Muttermilch, Kuhmilch oder Produkte bekamen, die Maiskeimöl oder Baumwollsamenöl enthielten. Die Säuglinge mit Muttermilch und Kuhmilch blieben gesünder, obgleich die Kuhmilch nur wenig Vitamin E enthielt. Durch die mehrfach ungesättigten Fette in den anderen Produkten sank indes der Vitamin-E-Gehalt im Blut der Säuglinge rapide ab und beschleunigte den Zerfall der roten Blutkörperchen, so daß es zu einer Anämie kam. Dutzende von Untersuchungen zeigen, daß die erhöhte Zufuhr mehrfach ungesättigter Fettsäuren den Vitamin-E-Bedarf manchmal bis um 400 Prozent steigert. Je mehr ungesättigte Fette, desto schlimmer wird der Vitamin-E-Mangel. Praktisch alle Forscher kamen zu dem Ergebnis, daß es gefährlich ist, die Nahrung damit zu versetzen, ohne gleichzeitig mehr Vitamin E zuzuführen. Trotz dieser Erkenntnisse raten die meisten Kinderärzte, wenn sie nicht gerade auf Magermilchprodukte verweisen, zu Säuglingsnahrungen, die mehrfach ungesättigte Fette enthalten, verschreiben dazu aber kein Vitamin E. Das Verhältnis von Vitamin E zu mehrfach ungesättigten Fetten in der Nahrung sollte 0,4 mg zu 1 g sein.

Vitamin E hat keine Nebenwirkungen

Selbst in großen Mengen scheint dieses Vitamin nicht toxisch auf den Menschen zu wirken. Ein Fall ist allerdings bekannt, nach dem es bei einem Erwachsenen bei einer täglichen Einnahme von 8000 I.E. zu Kopfweh, verschwommener Wahrnehmung und wunden Stellen in Mund und an der Zunge kam. Aber ich wüßte keinen Grund, warum man über längere Zeit hinweg sehr große Dosen Vitamin E einnehmen sollte.

Die Höhe des Vitamin-E-Bedarfs

Man weiß nicht, wieviel Vitamin E ein Säugling täglich braucht. Forschungsergebnisse lassen annehmen, daß der Bedarf mancher Menschen viermal so hoch ist wie der anderer. Fest steht jedenfalls, daß der Bedarf proportional zur Aufnahme von mehrfach ungesättigten Fetten steigt.

Manche Wissenschaftler sind der Meinung, daß die Mindestmenge Vitamin E, die man braucht, um gesund zu bleiben, bei 30 I. E. täglich liegt. Man hat Säuglingen so unterschiedliche Mengen wie 1,5 bis 16,5 I. E. täglich gegeben, wobei bei manchen Frühgeburten allerdings eine Anämie auftrat. Gelbsüchtigen Frühgeburten hat man nach der Geburt 100 mg alpha-Tokopherolacetat intramuskulär injiziert, wodurch sich die Bilirubin- und Hämoglobinkonzentration in ihrem Serum besserte und die Dosis verringert werden konnte. Meinen beiden Kindern habe ich täglich 100 Einheiten gegeben, solange sie im Wachstum begriffen waren.

d-alpha-Tokopherolacetat ist am besten

In natürlichen Nahrungsmitteln sind verschiedene Formen enthalten, vier Tokopherole und vier Tokotrienole, die die biologische Aktivität des alpha-Tokopherols zeigen. Der aktivste Stoff ist d-alphaTokopherolacetat. Das meiste natürliche Vitamin E läßt sich, in Einheiten gemessen, aus verschiedenen pflanzlichen Ölen destillieren, zum größten Teil aus Sojabohnenöl, das zu Farben verwendet wird. Es gibt auch synthetisches Vitamin E zu kaufen. Vitamintropfen mit Vitamin A, D und E oder Fischölkonzentrate mit d-alpha-Tokopherolacetat gibt es speziell für Säuglinge in den meisten Reformhäusern. Vitamin E ohne andere Nährstoffe gibt es in Kapseln mit jeweils 30 bis 1000 I. E. Man kann die Kapsel mit einer Nadel anstechen und den Inhalt dem Säugling direkt in den Mund ausdrücken. Für größere Kinder gibt es zerkaubare Vitamin-E-Tabletten. Meine Kinder kauen die Kapseln offenbar gern.

Wenn die Kinder etwa 6 Monate alt sind, würde ich zu 100 I. E. Vitamin E in Tropfen- oder Kapselform raten.

Plötzlicher Tod im Säuglingsalter

Der Kindstod, der plötzlich eintretende Tod scheinbar ganz gesunder Säuglinge, auch Sudden Death Syndrome (SIDS) genannt, ist die häufigste Todesursache von Säuglingen im Alter von zwei Wochen bis zu einem Jahr. Ein Drittel aller Todesfälle dieser Altersgruppe fällt darunter. In den Vereinigten Staaten stirbt eines von 350 Lebendgeborenen an SIDS, also 10000 Säuglinge. In den meisten Fällen tritt der Tod zwischen dem dritten und vierten Lebensmonat ein. Es sterben mehr Jungen als Mädchen an SIDS; im Winter sind mehr Todesfälle zu verzeichnen als im Sommer. Bei Brustkindern ist diese Todesart selten. Trotz aller Anstrengungen der Wissenschaft ist die Todesursache nach wie vor mysteriös. Autopsien ergaben leichte Entzündungen der Herzmuskeln, Myokarditis und Anzeichen von Ödemen und Blutungen in Lunge und Herz. Man gab unterentwickelten Nebenschilddrüsen, vergrößerten Thymusdrüsen, akuten Infektionen, unerkannten Anfällen, Erstickung und Milchallergien die Schuld. Am populärsten ist die Milchallergie-Theorie, obwohl die Blutanalysen immer wieder ergaben, daß keine solche Allergie vorlag. Es sind Hunderte von Forschungsvorhaben durchgeführt und Millionen ausgegeben worden, offensichtlich ohne je daran zu denken, daß die Ursache möglicherweise auch in einer falschen Ernährung liegen könnte. Es ist aber doch nicht uninteressant, daß bei Versuchstieren aller Art und bei landwirtschaftlichen Nutztieren, die an einem Vitamin-E-Mangel litten, manche Jungtiere plötzlich starben, obwohl sie nach außen hin völlig gesund zu sein schienen. Autopsien dieser Tiere, bei denen ein Vitamin-E-Mangel bestand, erbrachten ähnliche Symptome wie bei den an SIDS gestorbenen Säuglingen: Lungenödeme, Blutungen und degenerative Veränderungen der Herzmuskulatur; das Endstadium kommt so schnell, daß nach wenigen Stunden alles vorbei ist. Neuere Studien von G. N. Schrauzer et al. legen aber dar, daß bei an SIDS gestorbenen Säuglingen kein Vitamin-E-Mangel nachzuweisen ist. Die Versuchsdaten zeigen, daß der Vitamin-E-Spiegel im Plasma in etwa den Normalwerten entspricht. Festzuhalten ist noch, daß bei den SIDS-Toten der Anteil der Mütter, die in der Schwangerschaft geraucht hatten, etwas höher war.

Muskeldystrophie

Eine Erkrankung an Muskeldtrophie beginnt so harmlos, daß man die Phänomene erst im Rückblick deutlich erkennen kann. Der Arzt hat vielleicht von einer Anämie gesprochen, aber das beunruhigt Sie nicht allzu sehr; heutzutage sind so viele Kinder anämisch. Anfangs war der Kopf des Säuglings schwach; er lernte nur langsam sitzen und begann spät zu krabbeln und zu laufen. Sein vorstehender Bauch und seine runden Schultern machten Ihnen keine Sorgen, allerdings fiel er oft hin und hatte Schwierigkeiten, sich wieder aufzurappeln. Er schien gut entwickelt und hatte feste Muskeln. (Narbengewebe kann massig und fest sein.) Mit der Zeit haben Sie dann gemerkt, daß irgendwas nicht stimmte, und der Arzt wurde konsultiert. Der meinte, daß man nichts tun könne: die Krankheit ende immer tödlich. Und Sie mußten erleben, wie sie fortschritt — von den Krücken zum Rollstuhl, zum Bett, zu untröstlichem Leid. Das sind die Charakteristika der Krankheit.

Eine der ersten Störungen, die bei einer Unterversorgung mit Vitamin E auftreten, ist die Schwächung der gesamten Körpermuskulatur durch den Zellzerfall. Allmählich werden die zerstörten Muskelzellen durch totes Narbengewebe, das von Ceroiden durchsetzt ist, ersetzt. Wenn der Zerfall so weit fortgeschritten ist, daß die Muskeln nicht länger funktionieren können, kann die Störung als Muskeldystrophie diagnostiziert werden.

Auch Tiere erkranken bei einer Vitamin-E-armen Kost an Muskeldystrophie, wenn sie lang genug leben. Die Krankheit verläuft wesentlich schneller, wenn die Ernährung auch im Hinblick auf Proteine oder Vitamin A oder B6 mangelhaft ist; sie ist aber nur durch Vitamin E zu heilen, falls es früh genug verabreicht wird. Wenn trächtige Tiere vor allem zu wenig Vitamin E bekommen, werden ihre Jungen in dieser Hinsicht ebenfalls mangelernährt und erkranken sehr früh an Muskeldystrophie; dies geschieht vor allem dann schnell, wenn ihre Nahrung ölhaltig ist.

Nach den Autopsiestudien kann man annehmen, daß die experimentell erzeugte Muskeldystrophie der menschlichen Krankheit gleicht. Die Zahl solcher Erkrankungen soll sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt haben. Wenn die Krankheit allerdings in einem frühen Stadium erkannt wird, kann man ihren Verlauf durch Megadosen Vitamin E und Selen sowie durch eine adäquate Ernährung verlangsamen.

Vitamin E und Krebs

Nach jahrelangen Tierversuchen ist anzunehmen, daß Vitamin E möglicherweise auch bei der Krebsprophylaxe eine Rolle spielt. Krebs läßt sich durch Injektionen von Steinkohleteerfarbe erzeugen; besonders schnell bildet sich der Krebs bei Tieren, die kein Vitamin E bekommen. Vergleichstiere, die das Vitamin bekamen, blieben krebsfrei bzw. der Krebs war bei ihnen kleiner, begrenzter und seine Ausbreitung langsamer. Auch bei Eisensalzen, die Vitamin E zerstören, vermehrte sich der Krebs schnell; dagegen blieben die Tiere, die kein Eisen bekamen, gesund. Der Krebs wucherte genauso bei Östrogenen, die den Vitamin-E-Bedarf signifikant steigern; umgekehrt schützte aber eine erhöhte Vitamin-E-Zufuhr die östrogengefütterten Tiere.

Vor mehr als 20 Jahren wurde der Nachweis erbracht, daß Tiere, die mit krebserzeugenden Farbstoffen geimpft wurden, doppelt so oft an Krebs erkrankten, wenn ihr Futter Pflanzenöle enthielt, also aus einer Nahrung mit hohem Gehalt an mehrfach ungesättigten Fettsäuren bestand. Seit Jahren weiß man, daß die mehrfach ungesättigten Fettsäuren den Vitamin-E-Bedarf steigern. Forscher haben wiederholt davor gewarnt, sie der Nahrung zuzusetzen, ohne sie gleichzeitig mit Vitamin E anzureichern. Solche Warnungen verhallten ungehört.

Die Studien von Dr. Otto Warburg, zweimaligem Nobelpreisträger für Medizin, erbringen den Nachweis, daß Vitamin E wegen seiner Fähigkeit, den Sauerstoffbedarf zu reduzieren, von vitalem Interesse für die Krebsprophylaxe ist. Fehlt dieses Vitamin, wird soviel Sauerstoff verbraucht, daß ein Sauerstoffmangel im Gewebe entsteht. Wird ausreichend Sauerstoff zugeführt, funktionieren die Zellen normal und vermehren sich. Wird der Sauerstoff zu knapp, entwickeln sich die Zellen möglicherweise abartig, wie Prof. Adolph E. Smith von der Sir George William Universität in Montreal nachgewiesen hat, der die Arbeiten von Dr. Warburg weiterführt. Ein anderer Wissenschaftler, Dr. Albert Barber, Zoologieprofessor an der Universität von Kalifornien, hat festgestellt, daß ein Mangel an Vitamin E, das die ungesättigten Fette in den Körperzellen schützen soll, dazu führen kann, daß die Zellen »der Zerstörung durch Umweltkarzinogene ausgeliefert« sind. Seiner Meinung nach zerfällt die Membrane und verliert die Zelle einen Wachstumregulator, wenn die Lipide in der Zellmenbrane durch Sauerstoff zerstört werden. Dr. Barber glaubt, daß — wenn seine These stimmt — Vitamin E entsprechend nützlich für die Krebsprophylaxe sein kann. Ein Vitamin-E-Mangel ist natürlich nur einer von vielen Faktoren, die die Sauerstoffversorgung der Zellen gefährden können.

Der Preis, den wir zu zahlen haben

Es wurde wiederholt darauf hingewiesen, daß Krankheiten, die mit einem Vitamin-E-Mangel zusammenhängen, immer häufiger und gravierender geworden sind, seit dieser Nährstoff bei der Lebensmittelverarbeitung entfernt oder zerstört wird. Wenn wir nur einen Moment daran denken, wie sich ein solcher Mangel in der Schwangerschaft auswirken kann, wird das Ausmaß des Schadens deutlich; die Folge können Fehlgeburten, Krampfadern, Venenentzündungen und Lungenembolien, Früh- und Totgeburten, Mißbildungen und geistige Zurückgebliebenheit bei den Kindern und Anämien bei Mutter und Kind sein. Furchtbar wirkt sich auch bei einem bestehenden Vitamin-E-Mangel die Zerstörung von Vitamin A aus. Schließlich müssen wir auch noch die schlimmen Folgen einer abnormen Blutgerinnung, Koronarthrombose und Schlaganfall dazurechnen. All das zeigt, daß die Fehleinschätzung dieses Vitamins uns bereits Milliarden schmerzerfüllter Stunden, Milliarden von Dollars und Millionen Leben gekostet hat. Solange viele Ärzte aber immer noch zu höherem Gebrauch von mehrfach ungesättigten Fettsäuren raten, werden sich die Mangelerscheinungen und ihre Folgen noch verschlimmern.

Ein Blick auf die Zukunft

Irgendwann werden wir wissen, wie groß das Ausmaß des Schadens ist. In den nächsten zehn Jahren wird es Statistiken geben. Man fragt sich, wie lange wir noch die wahnwitzigen Schäden, die unsere hochgradig denaturierten Nahrungsmittel verursachen, in Kauf nehmen wollen.

Quelle: Adelle Davis: „Wir wollen gesunde Kinder“, Originaltitel: „Let’s have healthy children“ – Das Buch ist in Deutschland leider nicht mehr erhältlich.

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