Biotina


Was jede Zelle braucht

Vitamin E

In medizinischen Bibliotheken gibt es Tausende von wissenschaftlichen Werken, aus denen die außerordentliche Bedeutung des Vitamins E oder d-alpha-Tocopherolacetat hervorgeht; doch nur wenige Ärzte haben vielleicht ein halbes Dutzend davon gelesen. Selten erkennen sie die Vitamin-E-Mangelsymptome, und oft haben mir Leute erzählt, daß ihre Ärzte dagegen waren, den Kindern Vitamin E zu geben, aus Angst, es könne ihre sexuelle Entwicklung beschleunigen.

Eine vor 50 Jahren durchgeführte Versuchsreihe gibt einen Hinweis auf die Wirkung von Vitamin E: Nachdem man an Ratten eine Kost verfüttert hatte, die Eisensalz enthielt, das das damals noch unbekannte Vitamin E total zerstört, wurden die Männchen steril. Die Weibchen wurden zwar auf normale Weise schwanger, doch die Embryos starben frühzeitig oder die Jungen wurden zu früh geboren und hatten oft angeborene Mißbildungen wie eine verzögerte Entwicklung des Herzens, schwere Gehirn-, Lungen- oder Nierenschäden sowie kleine, mißgebildete Augen. Ältere Tiere entwickelten unter Vitamin-E-Mangel ein breites Spektrum von Symptomen: Anämie, eine vergrößerte Vorsteherdrüse, Leber- und Nierenschäden und vorzeitige Alterserscheinungen. Bei allen Tiergattungen finden sich Degenerationserscheinungen im Bereich der Muskulatur, bis zur schwersten Muskeldystrophie. Dieselben Symptome sieht man auch bei Menschen, die wenig oder gar kein Vitamin E im Blut haben.

Man gibt Vitamin Ein internationalen Einheiten, doch auch in Milligramm an, wobei beide gleichwertig sind, die Bezeichnungen sind also austauschbar. Die tägliche Zufuhr dieses Vitamins betrug schätzungsweise 150 Einheiten, als man noch nicht mit modernen Ausmahlverfahren die Weizenkeime aus dem Mehl entfernte; heute sind es etwa 7,4 Einheiten pro Tag. Vitamin E erscheint in verschiedenen chemischen Abwandlungen und kommt in großen Mengen in der Nahrung vor. Man findet diese Tocopherole im Öl aller Getreidearten, ferner im Öl von Nüssen und Körnern aller Art. Mit Ausnahme von Alpha-Tocopherol geht dieses Vitamin bei Luftberührung, durch Erhitzen, Einfrieren und Lagerung jedoch zugrunde. Beim Backen in Öl werden zum Beispiel 98 Prozent der gemischten Tocopherole vernichtet. Bei chemisch behandeltem Öl, bei hoch ausgemahlenem Mehl und in verpackten Getreideprodukten bleibt nicht eine Einheit Vitamin E übrig. Den sogenannten »angereicherten« Produkten wird es nicht zugefügt. Nüsse, frische Weizenkeime, kaltgepreßte Öle, frische Vollkornbrote und Erzeugnisse aus Vollkornmehl sind fast unsere einzigen Quellen für dieses Vitamin. Sogar bei reichlichem Angebot kann dieses Vitamin nur dann absorbiert werden, wenn gleichzeitig Fett und Gallenflüssigkeit im Darm vorhanden sind. Bei Säuglingen zum Beispiel, die eine Nahrung auf Magermilchbasis erhalten, erreicht Vitamin E das Blut überhaupt nicht. Nimmt man es aber mit Vollmilch, so wird doppelt soviel absorbiert wie bei halb entrahmter Milch.

Obwohl Vitamin-E-Mangel eine Vielzahl von Symptomen hervorbringen kann, hat dieses Vitamin wahrscheinlich nur eine Aufgabe: nämlich zu verhindern, daß im Körper ungesättigte Fettsäuren und fettartige Substanzen durch Sauerstoff zerstört werden. Zu diesen Substanzen gehören Vitamin A, Karotin, die essentiellen ungesättigten Fettsäuren und die Hormone der Hypophyse, der Nebennieren und der Keimdrüsen. Das Vitamin selbst wird jedoch verbraucht oder vernichtet, während es die schädliche Wirkung des Sauerstoffs aufhebt.

Vitamin E ist notwendig für die Bildung sämtlicher Zellkerne im Körper, einschließlich RNS (Ribonucleinsäure) und DNS (Desoxyribonucleinsäure). Ferner weiß man heute, daß die essentiellen Fettsäuren nicht nur einen Teil der inneren Struktur und der Wände jeder Körperzelle bilden, sondern auch das Material für die Substanz zwischen den Zellen liefern. Geht eine dieser Säuren infolge eines Vitamin-E-Mangels Verbindung mit Sauerstoff ein, können sie ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen, und es kommt zum Zerfall. Dieser Zerfall verläuft um so schneller, je mehr Sauerstoff vorhanden ist. Gewissermaßen als Nebeneffekt setzt Vitamin E den Sauerstoffbedarf des Körpers drastisch herab, indem es Vitamine, Hormone und Fettsäuren daran hindert, sich in unökonomischer Weise damit zu verbinden.

Ein Vitamin-E-Mangel verrät sich durch die Bildung von »Klinkern« in Form eines braunen wachsartigen Pigments, das zurückbleibt, wenn ungesättigte Fettsäuren durch Sauerstoff vernichtet werden. Bei Mensch und Tier findet sich dieses Pigment im Uterus, in den Lymphknoten, in der Milz, in der Leber, in den Nieren, im Gehirn, in den Muskeln, im Körperfett, in den Wänden der Blutgefäße, in den Keimdrüsen, Nebennieren und in der Hirnanhangdrüse (Hypophyse). Bei Tieren, die genug Vitamin E erhalten, kommt diese Pigmentation nicht vor. Wachsartige Pigmentation – Rückstände von oxydierten, ungesättigten Fettsäuren – ist ein früher und beständiger Befund bei der Autopsie von Menschen, die an Herzkrankheiten gestorben sind und/oder bei denen schwere Cholesterinablagerungen in den Arterien bestanden. Das reichliche Vorkommen dieses Pigments in Blutgerinnseln (Thromben) erklärt man damit, daß das Pigment anscheinend die Enzyme daran hindert, die Thromben aufzulösen. Hier stoßen wir auf das Problem der Krampfadern, Venenentzündungen, der Schlaganfälle und der vielen Herzanfälle. Bei Autopsien an 151 Kindern, die an Krankheiten mit Fettabsorptionsstörungen gestorben waren (zum Beispiel Pankreasfibrose, eine degenerative Erkrankung der Bauchspeicheldrüse), fand man diese Pigmentation in großen Mengen überall in den Geweben. Ich vermute, daß die häßlichen braunen Flecken auf dem Handrücken bei Leuten mittleren und höheren Alters durch einen Vitamin-E-Mangel entstehen. Meistens erscheinen sie mit der Menopause, wenn der Vitaminbedarf stark ansteigt, insbesondere dann, wenn weibliche Sexualhormone, die den Bedarf verzehnfachen, genommen werden. Bei Kindern kann ein Vitamin-E-Mangel zu einem Pigmentverlust der Zähne führen, wodurch diese auf Lebenszeit ein häßliches, kreideartiges Aussehen bekommen.

Forscher haben ermittelt, daß bei einem Vitamin-E-Gehalt von weniger als 0,5 Milligramm pro 100 cm3 Blut ein Mangelzustand vorliegt. Diesen Bestand an Vitamin E kann man auch bestimmen, indem man den Urin auf Kreatin untersucht, eine Substanz, die beim Zerfall von Muskelzellen entsteht und deren Menge den Grad des Vitamin-E-Mangels anzeigt. Die am häufigsten verwandte Methode zur Bestimmung eines Vitamin-E-Mangels ist die Auszählung derjenigen roten Blutkörperchen, die in Gegenwart von Sauerstoff zugrunde gegangen sind. Man könnte auch den Zerfall von Zellen im Bereich der Augen, der Leber, der Nieren, der Muskeln oder eines sonstigen Körperteils dazu heranziehen. Diese Methode hat aufgedeckt, daß bei Frühgeburten ein besonders schwerer Vitamin-E-Mangel besteht.

Alle Neugeborenen bringen von den fettlöslichen Vitaminen A, D, E und K nur wenig mit. Doch die Ursache für eine Frühgeburt besteht größtenteils in einem Vitamin-E-Mangel seitens der Mutter. Vor der Geburt befindet sich das Kind in einem sauerstoffarmen Milieu. Je mehr Sauerstoff dem Kinde nun nach seiner Geburt angeboten wird, desto schneller kommt es bei dem bestehenden Vitamin-E-Mangel zur Zerstörung essentieller Fettsäuren und zum Zerfall von Zellen. Hunderte von zu früh geborenen Kindern sind erblindet, nachdem man sie im Sauerstoffzelt gehalten hatte, wo infolge des hohen Sauerstoffdrucks eine Augenerkrankung entstand, die man »retrolentale Fibroplasie« (Bindegewebswucherung hinter der Linse) nennt.

Dr. W. C. Owens von der John Hopkins Medical School beobachtete 23 Frühgeburten, die sofort nach der Geburt täglich 150 Milligramm Vitamin E erhielten. Keines dieser Kinder wurde blind. Dagegen verloren 21,8 Prozent der zu früh geborenen, die kein Vitamin E bekommen hatten, das Sehvermögen. Dr. Owens machte noch eine weitere interessante Feststellung: Fing man nämlich mit der Verabreichung des Vitamins erst nach 6 Wochen an, blieb das Sehvermögen zwar erhalten, aber die Kinder wurden für immer kurzsichtig. Ich vermute, einer der Gründe für die heute so häufige Kurzsichtigkeit bei Kindern besteht darin, daß die Kinderärzte selten erlauben, den Kindern Vitamin E zu geben. Es heißt auch, daß die retrolentale Fibroplasie häufiger Blindheit bei Säuglingen verursacht als alle anderen Ursachen zusammen.

Falls die Mutter kein Vitamin E bekommen hat, können beim Kind durch die abrupte Umstellung auf atmosphärischen Sauerstoff unmittelbar nach der Geburt so viele rote Blutzellen zugrunde gehen, daß eine Gelbsucht eintritt. Die gelbe Farbe kommt durch freiwerdenden roten Blutfarbstoff aus den zerfallenen Blutzellen zustande. Sobald solche Kinder Vitamin E bekommen, hört der Zerfall roter Blutzellen auf und die Gelbsucht verschwindet.

Die Blutarmut bei Säuglingen ist ebenfalls oft Folge eines Vitamin-E-Mangels. Der Körper ist nicht in der Lage, die vielen kontinuierlich zerfallenden roten Blutkörperchen schnell genug zu ersetzen. Diese Form der Blutarmut kann man verhüten, wenn die Mutter während der Schwangerschaft Vitamin E erhält oder unmittelbar vor der Geburt 600 Einheiten einnimmt.

Dr. Dick Bushnell von der Universität von Wyoming machte auf den Vitamin-E-Mangel in Milchpräparaten und Fertignahrungen für Säuglinge aufmerksam. Flaschenkinder blieben deswegen monatelang blutarm. Ein Baby, das gestillt wird, ist glücklicher dran, es hat solche Probleme nicht.

Man kann in jedem Alter infolge von Vitamin-E-Mangel blutarm werden. Bei Testpersonen, die eine Vitamin-E-arme Kost erhielten, hat man Blutarmut erzeugt. Als man den Vitamin-E-Gehalt im Blut von 233 Personen bestimmte, stellte sich heraus, daß alle diejenigen, die weniger als 0,5 Milligramm pro 100 cm3 Blut hatten, blutarm waren. Diese Art der Blutarmut scheint bei jungen Leuten, bei Frauen in der Menopause wie auch während der Schwangerschaft und in der frühen Kindheit nicht selten zu sein. Es ist nicht möglich, eine Anämie, die durch Vitamin-E-Mangel entstanden ist, von einer Eisenmangelanämie zu unterscheiden, wenn nicht durch besondere Untersuchungen der Vitamin-E-Mangel sichergestellt wird. Da die Ärzte solche Untersuchungen nicht durchführen und zudem gewöhnlich die Bedeutung von Vitamin E unterschätzen, verordnen sie nur größere und immer größere Eisenmengen. Leider zerstören aber die meisten, vielleicht sogar alle Eisensalze Vitamin E. Oft erholen sich blutarme Kinder schnell, wenn man ihnen Vitamin E gibt, während die Anämie hartnäckig bestehenbleibt, wenn man auch noch soviel Eisen, Vitamin B6 und Eiweiß verabreicht.

Muß bei einer Anämie Eisen gegeben werden, sollte man dies 8 oder 12 Stunden vor oder nach der Einnahme von Vitamin E geben und das ganze Tagesquantum Vitamin E nach dem Abendessen. Bei Weltraumflügen, die länger als 8 Tage dauerten, bis zum Flug von Apollo 10, verloren die Astronauten 20 bis 30 Prozent ihrer roten Blutkörperchen und kamen anämisch und erschöpft auf die Erde zurück; ihre Herzen waren so geschwächt, daß die Ärzte vor einem Rätsel standen. Ihre Atemluft war so sauerstoffreich gewesen, daß es in Abwesenheit von Vitamin E zum raschen Zerfall der ungesättigten Fettsäuren in ihren Zellen gekommen war. Dr. David Turner aus Toronto erkannte dieses Problem als einen Vitamin-E-Mangel. Seither hat man die Nahrung der Astronauten kräftig mit Vitamin E angereichert, und es hat keine Anämie mehr gegeben.

Muskelzellen können unter Vitamin-E-Mangel in gleicher Weise zugrunde gehen wie die roten Blutkörperchen, so daß Kreatin und Aminosäuren im Urin ausgeschieden werden. Erhalten schwangere Frauen kein Vitamin E, kommen die Kinder mit so schwachen Muskeln zur Welt, daß es lange dauert, bis sie aufrecht sitzen, kriechen, stehen und laufen können. Oft haben Mütter mir erzählt, daß ihre Kinder, die mit 6 Monaten noch nicht allein sitzen konnten, es innerhalb einer Woche gelernt hatten, nachdem sie 100 Einheiten Vitamin E täglich bekamen. In drei Fällen gelang es Kinderärzten, die Mütter davon zu überzeugen, daß Vitamin E gefährlich sei. Innerhalb von zwei Wochen, nachdem man das Vitamin abgesetzt hatte, konnte das Kind nicht mehr allein sitzen. Tiere unter Vitamin-E-Mangel neigen zu Muskelrissen oder -brüchen, was nahelegt, daß auch die nicht seltenen Bindegewebsbrüche bei Säuglingen mit einem Vitamin-E-Mangel zu tun haben könnten.

Bei 112 Patienten, die an Muskelschwäche, Steifheit, Schmerzen und Krämpfen litten, kam es nach Verabreichung von täglich 400 Einheiten Vitamin E zu sofortiger Besserung, und zwar sprachen ältere Personen ebenso gut an wie jüngere. Mitunter kann kindliches Schielen durch Behandlung mit Vitamin E korrigiert werden, da die schwachen Augenmuskeln sich kräftigen. Bei Tieren unter Vitamin-E-Mangel sieht man ferner gelegentlich stark vorquellende Augen.

Für eine Patientin, die an einer schweren Muskelerkrankung litt, stellte ich einmal einen Ernährungsplan mit 600 Einheiten Vitamin E pro Tag als wesentlichen Bestandteil auf. Bei dieser Frau quollen die Augen so stark hervor, daß man meinte, sie würden aus dem Kopfe rollen. In erstaunlich kurzer Zeit war sie ganz geheilt, und ihre Augen wurden normal. Ähnliche Besserungen bei schweren Muskelerkrankungen sind mehrfach in medizinischen Zeitschriften mitgeteilt worden. Für mich besteht kein Zweifel, daß die schlechte Haltung bei Leuten jeden Alters zum Teil auf Muskelschwäche infolge von Vitamin-E-Mangel zurückzuführen ist.

Untersuchungen an Tieren unter Vitamin-E-Mangel haben ergeben, daß überall, wo Zellen zugrunde gehen, eine kleine Menge Kalzium abgelagert wird, so daß der Kalziumgehalt der weichen Gewebe um 500 Prozent oder mehr ansteigt. Dr. Hans Selye erzeugte solche Kalziumablagerungen experimentell und konnte alle Kennzeichen und charakteristischen Eigenschaften des Alterns auch bei jungen Tieren hervorrufen. Diesen Schaden konnte man nur durch große Mengen Vitamin E verhüten. Dr. Selye wies darauf hin, daß solche Kalziumablagerungen auch bei Arteriosklerose, bei Arthritis, Sklerodermie und bei vielen anderen Krankheiten vorkommen und der Übergang von Kalzium aus den Knochen in die weichen Gewebe, früher als Alterserscheinung angesehen, wahrscheinlich in Wirklichkeit die Ursache des Alterns ist. In einer Versuchsreihe mit 320 Säuglingen, die an »unheilbarer« Sklerodermie litten, wurden 75 Prozent völlig geheilt, als man ihnen Vitamin E gegeben hatte.

Die Muskeldystrophie, die bei allen Tierarten als Folge von Vitamin-E-Mangel in Erscheinung treten kann, scheint sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt zu haben. Bei dieser Krankheit gehen Muskelzellen zugrunde und statt dessen bildet sich funktionell unbrauchbares Narbengewebe. Gibt man Vitamin E, bevor die Krankheit schon sehr fortgeschritten ist, ist eine Heilung noch möglich. Doch meistens ist die Krankheit, bevor sie erkannt wird, schon in einem Stadium, wo keine Menge Vitamin E noch helfen kann. Möglicherweise kann eine Ernährung, die alle Nährstoffe in besonders reichlicher Menge enthält, die Krankheit zumindest aufhalten.

Einige Jahre lang stellte ich eine Ernährung mit viel Vitamin E für einen reizenden Jungen zusammen, der seit dem dritten Lebensjahr an Muskeldystrophie litt. Damals konnte er nicht laufen, und die Ärzte sagten den Eltern, daß er nicht lange leben würde. Seine kluge und beherzte Mutter aber band ihm Hände und Füße an einem Dreirad fest und brachte ihm bei, darauf zu fahren. Seitdem benutzte er dieses Dreirad als Rollstuhl und fuhr damit ins Badezimmer, zum Eßtisch und an seine Spielplätze. Jetzt ist er 11 Jahre alt und geht zur Schule. Er ist ein sehr guter Schüler und sieht aus wie ein glücklicher Junge, der sich überall wohl fühlt, obwohl er einen Rollstuhl und einen kleinen Motorwagen verwenden muß. Im September 1965 stellte ich einen Ernährungsplan für einen Jungen auf, der damals wegen einer Muskeldystrophie im John Hopkins Spital war. Zum Glück war seine Krankheit nicht sehr weit fortgeschritten. Heute kam mit der Post folgende Nachricht seiner Mutter: »Es ist für mich ein Wunder, daß mein Sohn glücklich ist und ganz normal die höhere Schule besuchen kann. Seine Ärzte sind sehr erstaunt darüber, doch ich weiß, warum es ihm so gut geht.« Gibt man Männern Vitamin E, bessert sich oft Anzahl, Beschaffenheit und Beweglichkeit der Spermatozoen. Aus einer Studie über Familien mit einem oder mehreren geschädigten Kindern geht hervor, daß bei allen normale Kinder geboren wurden, nachdem die Väter einige Monate vor der nächsten Empfängnis Vitamin E erhalten hatten. Ein Arzt gibt an, daß bei Tausenden von Kindern, deren Geburt er überwacht hatte, kein einziges mißgebildet oder geistig defekt zur Welt gekommen sei, wenn beide Eltern vor der Konzeption genügend Vitamin E genommen hatten und die Mutter auch während der Schwangerschaft dabei geblieben war.

Dutzende von Arbeiten haben gezeigt, daß Frauen, die früher eine oder mehrere Fehl- oder Frühgeburten hatten, gesunde Kinder zur Welt brachten, nachdem sie Vitamin E bekommen hatten. Als man einige hundert Frauen untersuchte, die mehrmals abortiert hatten, zeigte es sich, daß 97 Prozent nach Vitamin-E-Verabreichung gesunde Kinder zur Welt brachten. Bei einem Drittel der Frauen, die kein Vitamin E erhalten hatten, kam es wieder zu Fehlgeburten. Da Vitamin-E-Mangel zu Muskelschwäche führt, neigen Frauen mit Vitamin-E-Mangel zu schweren und langdauernden Geburten, in deren Verlauf das Kind entweder stirbt oder einen Hirnschaden infolge von Sauerstoffmangel bekommt. In einigen solchen Fällen konnte nachgewiesen werden, daß überhaupt kein Vitamin E im Blut enthalten war. Da Vitamin E den Sauerstoffbedarf des Körpers senkt, kann dieses Vitamin während der Frühentwicklung des Embryos und auch während der Entbindung Gehirnschäden verhüten.

Bei ungenügender Versorgung mit Vitamin E wird ununterbrochen Sauerstoff vergeudet, wodurch sich der Sauerstoffbedarf des Körpers enorm steigert. Wenn man Tiere unter zunehmenden Sauerstoffmangel setzt, ist die Überlebensdauer bei solchen, die reichlich Vitamin E erhalten haben, länger und ihr Sauerstoffbedarf auffallend niedrig. Versuchspersonen atmeten verdünnte Luft ein, bis sie bewußtlos waren. Nachdem sie 300 Einheiten Vitamin E pro Tag eingenommen hatten, wurde das Experiment wiederholt. Das Vitamin ermöglichte ihnen, viel länger bei Bewußtsein zu bleiben, sie fühlten sich besser, hatten weniger Herzklopfen und waren weniger erschöpft. Dementsprechend sind Sportler, vor allem Bergsteiger, die sich in dünner Luft aufhalten, viel leistungsfähiger, wenn sie Vitamin E nehmen. Ein Ingenieur, der in Peru hoch oben in den Anden gearbeitet hatte, erzählte mir, daß seine Firma Vitamin-E-Kapseln für ihre Angestellten zur Verfügung gestellt habe, woraufhin die Leute sich beträchtlich wohler fühlten und gesünder waren. Als man später damit aufhören wollte, drohten alle, die Arbeit niederzulegen.

Es scheint, daß zur Bildung von Narbengewebe weniger Sauerstoff nötig ist als bei der Bildung von normalen Geweben. Deswegen entsteht dieses Gewebe bei Sauerstoffmangel. Durch Operationen, Verletzungen und Verbrennungen werden Blutgefäße beschädigt und damit die Sauerstoffversorgung vermindert. Die Doktoren E. V. und W. E. Shute aus London, Ontario, zeigten Lichtbilder von Patienten mit ausgedehnten Verbrennungen, schweren Verletzungen nach Unfällen, mit gangränös zerfallenden Hauttransplantationen, umfangreichen Krampfadergeschwüren und eiternden Amputationsstümpfen. Nachdem diese Kranken täglich 600 Milligramm Vitamin E oder mehr bekommen hatten, heilten ihre Wunden auf geradezu wunderbare Weise, nicht nur mit ganz geringer Narbenbildung, sondern auch ohne Schrumpfung und ohne jene juckenden Schmerzen, die bei Wundheilungen so häufig sind. Sogar alte, häßliche Narben verschwanden oft. Oft habe ich an Wunder grenzende Heilungen gesehen, nachdem man Vitamin E gegeben hatte. Schreckliche Brandwunden, sogar Röntgenverbrennungen heilten, ohne eine Narbe zu hinterlassen. Ein junges Mädchen hatte bei einem Unfall so viele Schnittwunden im Gesicht davongetragen, daß eine sich über Jahre hinziehende plastische Chirurgie notwendig schien. Sie war nach einigen Wochen schon wieder hübsch und brauchte keine Operation.

Bei einem kleinen Kind, das Lauge getrunken hatte, war die Speiseröhre durch Narbengewebe so stark verengt, daß man es nur durch einen Schlauch ernähren konnte. Nachdem es täglich hunderte von Vitamin-E-Einheiten bekommen hatte, wurde der Schlund wieder normal durchgängig. Ich habe Leute gesehen, deren Fleisch buchstäblich gekocht war. Sie litten fast keine Schmerzen, und die Wunden heilten ohne Narben, nachdem man zweimal täglich den Inhalt von Vitamin-E-Kapseln auf die Brandwunden geträufelt und zu jeder Mahlzeit 200 Einheiten Vitamin E verabreicht hatte.

Obwohl man schon seit mehr als 20 Jahren weiß, daß Vitamin E Schmerzen und Narbenbildung bei Brandwunden verhindern kann, habe ich noch nie von einem Krankenhaus gehört, in dem man den Patienten dieses Vitamin verordnet hätte. Diese armen Menschen setzt man Qualen aus, die wahrhaft erschütternd sind. Die Mutter eines 10jährigen Mädchens, das in eine Benzinexplosion geraten war, erzählte mir, sie habe die Ärzte angefleht, dem Mädchen Vitamin E zu geben, doch sie hätten es nicht erlaubt. Nun, nachdem dieses Mädchen drei Jahre lang im Krankenhaus war, nach unzählbaren Stunden voller Schmerzen, und nachdem man tausend und abertausend Dollar für Hauttransplantationen ausgegeben hat, ist das Kind durch Narben hoffnungslos verunstaltet. Das Gesicht ist gänzlich verzogen, Mund und Lächeln sind schief, die Ohren sind zum Teil verschwunden. Da sie Narben auf den Armen und auf der Brust hat, will sie nicht mehr schwimmen gehen, und das ganze Jahr trägt sie Kleider mit langen Ärmeln und hohem Kragen. Man hat ihr noch 8 weitere plastische Operationen angeraten, doch das Kind will nicht mehr, und die Eltern sind endlich soweit, daß sie nun Vitamin E ohne den Segen des Arztes »versuchen« werden. Die Schmerzen, die dieses Mädchen schon erlitten hat, und das Leben voller seelischer Qualen, das ihr bevorsteht, das alles hunderttausendfach vervielfältigt, läßt ahnen, wie grausam es sein kann, wenn man Menschen einen lebensnotwendigen Wirkstoff vorenthält.

Narben im Körperinnern stellen oft ernste Probleme. Sogenannte Verwachsungen sind Narbengebilde. Bei Pankreasfibrose (Entartung der Bauchspeicheldrüse), Muskeldystrophie und Leberzirrhose (Schrumpfung) kommt es zu ausgedehnten Narbenbildungen an Stelle von normalem Gewebe. Doch kann dieses Narbengewebe natürlich nie die gleiche Arbeit leisten. Nach Blaseninfektionen können so starke, narbige Schrumpfungen entstehen, daß man fast keinen Urin zurückhalten kann. Bei fieberhaftem Gelenkrheumatismus kann die Narbenbildung an den Herzklappen ein ganzes Leben lang Geräusche verursachen. Nimmt man jedoch während der Krise und auch später dieses Vitamin ein, entstehen keine Narben. Arthritis, Bursitis (Schleimbeutelentzündung), Myositis (Muskelentzündung), Arteriosklerose, Verengungen der Harnröhre oder der Harnleiter und viele andere Krankheitserscheinungen werden durch Narbenbildung noch weiter kompliziert und könnten wahrscheinlich verhütet werden, wenn genügend Vitamin E gegeben würde.

Man hat Vitamin E mit Erfolg verwendet bei der Behandlung von Dupuytrenscher Kontraktur, wobei Narbengewebe die Finger in unbewegliche Klauen verwandelt, bei der Peyronieschen Krankheit, bei der Narbengewebe im Bereich des Penis Schmerzen und oft Impotenz verursacht, und bei Keloid, jener schmerzenden, juckenden, geschwulstähnlichen Wucherung, worunter besonders Farbige oft leiden. Je frischer eine Narbe ist, desto leichter kann sie zurückgebildet werden. Manche alten Narben verschwinden nie. Doch meiner Überzeugung nach liegt das im wesentlichen daran, daß die Nahrung nicht die erforderlichen Materialien liefert, um wieder normales Gewebe aufzubauen.

Es hat sogar den Anschein, daß die Schmerzempfindlichkeit bei ausreichender Versorgung mit Vitamin E geringer ist. Starke Schmerzen bei schweren Verbrennungen verschwinden innerhalb weniger Minuten, wenn man Vitamin-E-Kapseln mit einer sterilen Nadel durchsticht und den Inhalt über den verbrannten Hautflächen ausdrückt. Auf ähnliche Weise kann man auch bei Erfrierungen die Schmerzen lindern. Ein Geburtshelfer erzählte mir, daß Schmerzen bei der Geburt wesentlich geringer seien, wenn man den Frauen zu Anfang der Entbindung 600 Einheiten Vitamin E gebe. Es ist sicher, daß dieses Vitamin die juckenden und ziehenden Schmerzen bei heilenden Wunden lindert. Als mich vor kurzem Bienen gestochen hatten, gab ich schnell Vitamin E auf diese Stellen, und der erstaunlich heftige Schmerz verschwand sofort. Schmerzen infolge von Sonnenbrand lassen nach, wenn man entweder Vitamin E selbst oder eine Salbe anwendet, die Vitamin E oder PAB (Para-aminobenzoesäure) enthält.

Die Bedeutung, die dem Vitamin E möglicherweise bei der Bildung von Blutgerinnseln in den Gefäßen zukommt, wurde schon kurz gestreift. Hierfür und zugleich für eine (vielleicht damit zusammenhängende) Rolle des Vitamins beim Krampfaderleiden gibt der folgende Krankheitsfall eine Vorstellung. Vor kurzem sprach ich mit einer jungen Frau, einer begeisterten Tennisspielerin, die während einer Schwangerschaft, zu der Zeit also, wo der Bedarf an Vitamin E am höchsten ist, große, häßliche Krampfadern bekommen hatte. Ihr Arzt versicherte ihr, sie werde nie wieder Tennis spielen können. Im siebten Monat bildete sich an einem Unterschenkel ein etwa kirschgroßer, dunkelvioletter Knoten dicht unter der Hautoberfläche, das ganze Bein war entzündet, geschwollen und schmerzhaft. Ihr Doktor hielt sie im Bett, drang darauf, die Geburt einzuleiten, und sagte ihr, daß der Krampfadern wegen eine Operation unvermeidlich sei. In diesem Moment begann sie, nach jeder Mahlzeit 300 Einheiten Vitamin E zu nehmen. Wegen der Entzündung fügte sie noch sechsmal am Tag 1000 Milligramm Vitamin C hinzu. Die junge Frau und ihre Mutter berichteten, daß nicht nur der Knoten, sondern auch die Krampfadern förmlich vor ihren Augen verschwanden. Eine Woche nach ihrer Entbindung spielte sie schon wieder Tennis. Die Beine waren wieder völlig normal.

Bei Krampfadern besteht die Tendenz, daß sich Blutgerinnsel an der Gefäßwand anheften, wodurch es zur Entzündung, Schwellung und sogar zur totalen Verstopfung des Gefäßes kommen kann. Mit Vitamin E und einer guten Ernährung verschwinden Krampfadern häufig in einigen Tagen oder Wochen, können aber wiederkommen, wenn man das Vitamin nicht mehr nimmt. Einige Leute erzählten mir, daß Krampfadern, die schon seit 20 Jahren bestanden, sich nach Zusatz von Vitamin E zur täglichen Kost zurückgebildet hätten.

Ohne Vitamin E und nach wiederholten chirurgischen Eingriffen kann es im Bereich der Krampfadern zu Zirkulationsstörungen kommen, durch die schmerzhafte Entzündungen entstehen. Nach einiger Zeit bleibt nichts anderes übrig, als ständig elastische Strümpfe zu tragen, und die Schmerzen werden so heftig, daß das Gehen zur Qual wird. Wenn ein Blutgerinnsel an einer Gefäßwand hängenbleibt, kann es zu einer empfindlichen Entzündung mit Schmerzen und Rötung im ganzen Verlauf der Vene kommen. Diesen Zustand nennt man Phlebitis (Venenentzündung) oder Thrombophlebitis. Man hat bei Kaninchen und Hunden, bei denen ein Vitamin-E-Mangel bestand, Phlebitis erzeugt. Wenn man dann das Vitamin gab, bildet sich schnell zahlreiche Gefäße, parallel zu der blockierten Vene, durch die das Blut zum Herzen zurückkehren konnte; die Gerinnsel lösten sich auf, und die Entzündung klang ab. Alles das bleibt aus, wenn das Vitamin nicht gegeben wird.

Ähnlich verhielt es sich bei 327 Personen mit Venenentzündung: Als man ihnen täglich bis 800 Einheiten Vitamin E gab, schmolzen die Gerinnsel förmlich dahin, der Schmerz ließ nach, und man nannte die Resultate »lohnend und dramatisch«. Zwölf Stunden nach Beginn der Vitaminverabreichung setzte meistens schon eine Besserung ein. Andere Patienten wurden in 4 Tagen völlig geheilt. Sogenannte »Clearance«-Tests, bei denen an Krampfadern oder Phlebitis Leidenden ein Farbstoff in die Blutgefäße injiziert wird, um die Zirkulation durch Röntgenstrahlen sichtbar zu machen, zeigten auch, daß die Gerinnsel verschwanden und die Durchblutung sich normalisiert hatte.

Da Thrombephlebitis eine häufige Folge von Operationen ist, untersuchte man 100 Personen, die kurz vor der Operation 200 Einheiten Vitamin E erhalten hatten; bei einigen bildeten sich Gerinnsel, doch bei keinem kam es zu Thrombophlebitis. Bei einer gleichen Anzahl von Patienten, die kein Vitamin E bekamen, entwickelte sich bei 15 Personen eine Thrombophlebitis, bei 30 fanden sich Gerinnsel und zwei erkrankten an Lungenembolie, wobei Gerinnsel in den Kreislauf gelangen und in der Lunge hängenbleiben.

Vor einiger Zeit bekam ich folgenden Brief: »Ich fürchte, meine Schwester liegt im Sterben. Sie ist erst 46 Jahre alt, doch sie hat eine Thrombophlebitis mit Gerinnseln im ganzen Körper. Es hat im vergangenen Frühjahr angefangen, als sie einen Thrombus in der Lunge hatte. Jetzt schwillt sie immer mehr auf. Ihre Beine sind entsetzlich. Können Sie bitte, bitte helfen?« Zum Glück konnte eine Diät mit viel Protein, großen Mengen Vitamin C, E und Pantothensäure ihr Hilfe bringen.

Lungenembolien und Schlaganfälle infolge von verschleppten Blutgerinnseln können durch Vitamin-E-Mangel hervorgerufen sein. Blutanalysen haben ergeben, daß bei 80 Prozent der Opfer von Schlaganfällen ein starker Vitamin-E-Mangel bestand und nach Vitamin-E-Verabreichung eine beträchtliche Besserung eintrat, sogar, wenn der Schlaganfall schon längere Zeit zurücklag. Da orale Empfängnisverhütungsmittel den Bedarf an Vitamin E stark erhöhen, können bei Frauen, die diese einnehmen, Krampfadern, Thrombophlebitis, Lungenembolien und sogar Schlaganfälle vorkommen.

Herzinfarkte, an denen in Amerika zehnmal soviel Menschen sterben wie in anderen zivilisierten Ländern, entstehen meist dadurch, daß ein Blutgerinnsel in einem Herzkranzgefäß steckenbleibt, wodurch die Sauerstoffzufuhr abgeschnitten wird. Es ist eine Schande, daß man bislang so wenig Mühe darauf verwendet hat, den Wert von Vitamin E bei der Verhütung von Coronarthrombose zu untersuchen. Man weiß doch, daß dieses Vitamin den Bedarf an Sauerstoff vermindert, daß es die Auflösung von Gerinnseln erleichtert und die Bildung neuer Blutgefäße, die die thrombotisch erkrankten umgehen, fördert.

Als man 100 Menschen, die einen Herzinfarkt überlebt hatten, nur 200 Einheiten dieses Vitamins pro Tag gab und diese Gruppe mit einer solchen verglich, die kein Vitamin erhalten hatte, stellte sich heraus, daß es in der zweiten Gruppe viermal sooft zu einer Wiederholung des Infarkts kam. Bei einer anderen Gruppe von 457 Infarktpatienten, die Vitamin E erhielten, traten keine neuen Attacken auf, bis man das Vitamin E absetzte. Von 246 Kontrollpersonen jedoch, die kein Vitamin E erhalten hatten, erlitten 23 neue Infarktschübe. Die Überlebenden solcher Anfälle haben immer einen niedrigen Vitamin-E-Blutspiegel und abnormale Elektrokardiogramme. Die Autopsien zeigen Degenerationen, reichliche Narbenbildung und viel Ceroidpigment in den Herzmuskeln; Gewebeanalysen markieren sehr deutlich einen Vitamin-E-Mangel.

Bei Patienten, die kurz nach einem Herzanfall 600 bis 1600 Einheiten Vitamin E erhielten, kam es zu einer Besserung des Elektrokardiogramms mit regelmäßigerem Puls, auffallend wenig Schmerzen und weniger Atemnot. Ärzte, die mit diesem Vitamin gearbeitet haben, halten es bei der Verhütung von Thrombosen für wesentlich besser als die gefährlichen koagulationshemmenden Mittel und heben vor allem die Senkung des Sauerstoffbedarfs nach ausreichend hohen Dosen hervor, die dem Patienten das Überleben auch nach einem sonst tödlichen Anfall ermögliche. Angeborene Herzfehler verschwinden oft, wenn man vom frühen Säuglingsalter an täglich Vitamin E gibt. Ich stellte für viele Kinder mit angeborenen Herzfehlern, bei denen man eine Herzoperation als unvermeidlich angesehen hatte, Ernährungspläne auf. Alle erhielten von der frühesten Kindheit an täglich 100 Einheiten Vitamin E. Keines brauchte operiert zu werden, und manche sind sogar Sportler geworden.

Da Tiere unter Vitamin-E-Mangel häufig Nephritis oder einen sonstigen Nierenschaden bekommen, haben einige Ärzte Kinder, die an dieser Krankheit litten, mit Vitamin E behandelt. Mit nur 300 bis 450 Einheiten dieses Vitamins pro Tag gingen die Ödeme zurück, Blut und Eiweiß verschwanden aus dem Urin, der Blutdruck sank und die Anämie, die diese Krankheit begleitet, besserte sich. Vor kurzem sagte mir ein Nierenspezialist ärgerlich, es gäbe keinen Beweis dafür, daß Vitamin E bei Nephritis helfen würde. Bevor ein solcher nicht erbracht sei, würde er es seinen Patienten nicht geben. Obwohl ein Nierenschaden aus vielen Gründen entstehen kann, hätte ich ihm gerne gesagt, daß nichts bewiesen ist, bevor man es nicht versucht hat, und kein menschliches Wesen, nicht einmal ein Arzt, das Recht hat, Patienten eine unvollständige Ernährung vorzuschreiben.

Erhält man genügend Vitamin E, kann die Leber schädliche Substanzen wie Konservierungsmittel, Bleichmittel, die man dem Mehl zugefügt hat, Reste von Insektenvertilgungsmitteln, Nitrite und Nitrate aus Kunstdünger, Industriegifte wie Tetrachlorkohlenstoff und eine große Menge anderer toxischer Stoffe entgiften. Durch jede dieser Substanzen kann bei ungenügendem Vitamin-E-Gehalt ein Leberschaden entstehen. Man hat jedoch festgestellt, daß ein solcher Leberschaden bei zwei Dritteln aller Krankenhauspatienten vorkommt, die gleichzeitig einen schweren Vitamin-E-Mangel haben.

Auch bei Schilddrüsenstörungen hat sich Vitamin E als wirksam erwiesen. Bei Tieren unter Vitamin-E-Mangel degeneriert die Schilddrüse zu einem narbigen Gebilde, das weder Thyroxin produziert noch Jod absorbieren kann. Die Augen quellen hervor wie bei der Basedowschen Krankheit.

Als man 70 Erwachsenen mit gestörter Schilddrüsenfunktion täglich 500 Einheiten Vitamin E gab, verdoppelte sich die Jodaufnahme und das an Eiweiß gebundene Jod im Blut vermehrte sich. Bei bisheriger Unterfunktion nahm die Aktivität sichtbar zu, überaktive Schilddrüsen dagegen arbeiteten wieder normal. Kleine Knoten auf der Schilddrüse verschwanden oft, nachdem Vitamin E gegeben wurde.

Dieses Vitamin ist für die Funktion aller Drüsen lebenswichtig. Ist es reichlich vorhanden, enthält die Hypophyse (Hirnanhangdrüse) 200mal soviel Vitamin E wie irgendein anderer Körperteil. Bei Vitamin-E-Mangel sinkt die Produktion aller Hypophysenhormone, sei es STH (Somatotropes Hormon oder Wachstumshormon), sei es ACTH (Adrenocorticotropes Hormon), das die Nebennierenrinde stimuliert, oder seien es Hormone, die der Schilddrüse und den Keimdrüsen zugeordnet sind. Sobald Vitamin E zugeführt wird, nimmt die Hormonproduktion schnell zu. Aber selbst bei der Produktion von normalen Mengen gehen die Hypophysen-, Nebennierenrinden- und Sexualhormone zugrunde, wenn Vitamin E nicht im erforderlichen Ausmaß vorliegt.

Vor Jahren schon sprach der verstorbene Dr. Francis M. Pottenger jr. eine Prophezeihung aus, die wohl kaum zutreffender hätte sein können: Wenn wir mit unseren verkehrten Eßgewohnheiten fortführen, so meinte er, würden auf die Dauer Hypophyse und Sexualdrüsen so unzulänglich funktionieren, daß es bald keine normal entwickelte Brust bei Frauen und schmale Hüften bei Männern nicht mehr geben werde, und man Schwierigkeiten haben werde, Männer und Frauen zu unterscheiden.

Werden ungesättigte Fettsäuren, die ja einen Teil der Interzellularsubstanz und der Zellwände bilden, bei Fehlen von Vitamin E durch Sauerstoff zerstört, haben Viren, Bakterien und Allergie erzeugende Stoffe freien Zutritt in die Gewebe. Bei Mucovistidose, bei der Vitamin E nicht resorbiert werden kann, nahmen Infektionen überhand. Da weiterhin Vitamin A ohne ausreichenden Schutz durch Vitamin E vernichtet wird, erkranken Kinder unnötig oft an Infektionen, weil es ihnen an Vitamin E fehlt. Ebenso verkehrt ist es, jungen Leuten wegen Akne Vitamin A zu verordnen, ohne zugleich für eine ausreichende Vitamin-E-Zufuhr zu sorgen. Je mehr Vitamin E in der Nahrung enthalten ist, desto weniger Vitamin A wird gebraucht und desto mehr Vitamin A kann gespeichert werden. Die wasserlöslichen und mit Wasser mischbaren Vitamin-A und D-Tropfen, die Kinderärzte so oft empfehlen, zerstören das Vitamin E so schnell, daß der gesamte Vorrat in kurzer Zeit verbraucht ist. Ohne dieses Vitamin verliert aber Vitamin A seine Wirksamkeit.

Das aus Fischlebertran gewonnene Vitamin A ist viel haltbarer, erfordert aber gleichfalls den »Schutz« durch Vitamin E. Auch die toxische Wirkung von Vitamin A in übermäßiger Dosierung kann durch reichliche Versorgung mit Vitamin E verhindert werden. Sogar bei der Krebsverhütung scheint dieses Vitamin eine Rolle zu spielen. Bei älteren Tieren besteht unter Vitamin-E-Mangel eine verstärkte Neigung zu Krebsbildungen. Die Anzahl der mit Azofarbstoffen künstlich erzeugten Krebsgeschwülste vermindert sich unter Verabreichung von Vitamin E. Das Wachstum von Krebszellen im Blutplasma wird durch Zugabe von Vitamin E gehemmt. Transplantiertes Krebsgewächs wächst nicht an, wenn die Tiere reichlich Vitamin E erhalten.

Dr. Otto Warburg hat gezeigt, daß Krebszellen nur dann wachsen, wenn das Muttergewebe unter Sauerstoffmangel steht, der zum größten Teil durch Verlust, Zerstörung oder Abwesenheit von sauerstofftragenden Enzymen zustande kommt. Entsprechend ist daran zu erinnern, daß Vitamin E den Sauerstoff bedarf der Gewebe stark reduziert. Hautkrebs im Frühstadium heilt manchmal unter örtlicher Anwendung von Vitamin E, wobei der Inhalt einer Vitamin-E-Kapsel pro Tag aufgeträufelt wird.

Vitamin E ist wahrscheinlich bei einer Reihe von Krankheiten, die offenbar wenig miteinander zu tun haben, wirksam. Erstaunlicherweise wird zum Beispiel die Bluterkrankheit, bei der Heilungen erzielt worden seien, angeführt. Bei Diabetikern konnte die Insulindosis gesenkt werden. Bei Patienten mit Allergien und/oder Resistenzschwäche gegenüber Infektionen wurden Besserungen beobachtet. Wenn nämlich bei Vitamin-E-Mangel die Zellwände durch Ausfall von Fettsäuren brüchig werden, finden Infektionserreger und Allergene leicht Zugang zur Zelle. Sogar bei Netzhautablösung wurde eine Heilwirkung festgestellt. Besonders wirksam ist dieses Vitamin bei Krankheiten, die mit Sauerstoffmangel einhergehen, wie Asthma, Emphysem (Lungenerweiterung) und Bürgersche Krankheit. Weiterhin erscheinen in diesem Katalog die Akne junger Leute, Entzündungen der Vagina, die Warzenbildung bis hin zu Lupus erythematodes (Zehrose) und Sklerodermie.

Laut ärztlichen Angaben soll Vitamin E älteren Leuten zu vermehrter geistiger Frische verhelfen. Da dieses Vitamin die Ausnützung von Azetylcholin verbessert, wird ihm eine Bedeutung bei Myasthenia gravis, einer Krankheit, die mit extremer Muskelschwäche einhergeht, zugeschrieben.

Der tägliche Bedarf an Vitamin E zeigt eine erhebliche Variationsbreite; manche Leute brauchen davon viermal soviel wie andere.

Der Bedarf nimmt zu unter Streß, durch Einnahme von Ölen, nach länger bestehendem Vitamin-E-Mangel, bei schnellem Wachstum, während der Menopause und während einer Behandlung mit Sexualhormonen. Da ein mäßiger Mehrverbrauch von Ölen oder ungesättigten Fetten den Bedarf an Vitamin E um das sechsfache erhöhen kann, ist es gefährlich, der Kost vermehrt Öl zuzufügen, wenn nicht gleichzeitig mehr Vitamin E zugeführt wird. Jedoch empfehlen die Ärzte, ohne Vitamin E zu erwähnen, den Patienten, Öl zu nehmen, um Herzkrankheiten vorzubeugen. Kinderärzte verordnen ölhaltige Nährpräparate für Säuglinge, bei denen ohnehin ein Vitamin-E-Mangel besteht. Wie groß der Schaden ist, der dadurch angerichtet wird, kann man nur erraten.

Schätzungen des täglichen Bedarfs bewegen sich zwischen der minimalen Menge von 30 Einheiten bis zu mehreren hundert Einheiten. Genaue Studien zeigen, daß Erwachsene normalerweise 140 bis 210 Einheiten täglich sowie 100 Einheiten zusätzlich für jeden Eßlöffel Öl in der Diät benötigen. Ein kleiner Überschuß wird in der Hypophyse, in den Nebennieren und Keimdrüsen gespeichert. Doch wird dieser, vor allem während einer Krankheit, schnell verbraucht. Die Mengen, mit denen man Heilerfolge erzielt hat, betrugen meistens zwischen 600 und 1600 Einheiten täglich, wobei die Dosis stets nach fetthaltigen Mahlzeiten zu nehmen war. Leute mit unkontrolliert hohem Blutdruck oder mit Herzfehlern nach rheumatischer Herzklappenentzündung sollten jedoch während der ersten 6 Wochen nicht mehr als 100 Einheiten Vitamin E pro Tag nehmen. Dann kann diese Menge bis zu 125 Einheiten, nach weiteren 6 Wochen bis zu 150 Einheiten täglich erhöht werden.

Im allgemeinen ist Vitamin E nie toxisch. Man hat Frühgeburten über kurze Zeit mit 1400 und Kinder mit 2000 Einheiten Alpha Tocopherol täglich behandelt, ohne daß die geringsten Zeichen von Vergiftung auftraten. Doch bekam ein 41jähriger Mann, der drei Monate lang pro Tag 4000 Einheiten synthetisches Vitamin E nahm, Durchfall, Bauchweh und eine Entzündung des Mundes, der Zunge und der Lippen. Auch bei Tieren hat man toxische Wirkungen hervorgerufen, wobei es zur Degeneration der Nebennieren, der Schilddrüse und der Keimdrüsen kam. Deswegen ist es ratsam, größere Mengen als 1600 Einheiten nur während kurzer Perioden einzunehmen.

Der Bedarf an diesem Vitamin steht in einem bestimmten Verhältnis zu der Menge des mit der Kost aufgenommenen Öls. Unser Speiseölverbrauch hat sich seit 1946 verdreifacht, die Zufuhr an Vitamin E jedoch nimmt ständig ab und beträgt jetzt durchschnittlich 7,4 Einheiten pro Tag.

Wird man nicht bald der allgemeinen Ernährung mehr Vitamin E zuführen, ist zu erwarten, daß alle Mangelerscheinungen, die in diesem Kapitel besprochen sind, schlimmer und häufiger werden. Dabei kommt es mit jedem Pfund Mehl, das zu stark ausgemahlen, und mit jedem Liter Öl, der chemisch gewonnen wird, zu einer gedankenlosen Vergeudung dieses Vitamins.

Können wir uns das noch leisten?

Quelle: Adelle Davis: „Jeder kann gesund sein“, Originaltitel: „Let’s eat right to keep fit“ (1970) – Das Buch ist in Deutschland leider nicht mehr erhältlich.

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