Biotina


Entscheiden Sie sich bald,

ob Sie stillen wollen

Meiner Ansicht nach hat eine Frau, die heutzutage ein Kind bekommt, in vielerlei Hinsicht Glück. Zum Beispiel können Eltern heute überall Kurse besuchen, in denen sie sich gemeinsam auf eine natürliche Geburt vorbereiten können. Die Eltern wissen, daß sie Medikamente meiden müssen, die den Kindern vielfach schaden. Manche Väter helfen bei der Geburt und dürfen so bereits in diesem Stadium am Wunder von Leben und Liebe aktiv teilhaben. Ein Geburtshelfer erzählte mir einmal, daß für Väter mit mehreren Kindern, die nur bei einem Kind auch bei der Geburt dabei waren, dieses Kind immer das liebste bliebe. Derselbe Arzt, der es gern sähe, wenn jeder Mann bei der Geburt seines Kindes dabei wäre, meinte, daß kein Film jemals so starke Gefühle darstellen könnte, wie er sie bei jeder Geburt zwischen Mann und Frau erlebt. Wenn Sie wissen wollen, wo in Ihrer Nähe Schwangerschaftskurse und Kurse zur Vorbereitung einer natürlichen Geburt abgehalten werden, informieren Sie sich bei Ihrem Frauenarzt, den Kliniken in Ihrer Nähe, bei Frauenzentren, Stillgruppen u. ä. Auch Bücher können Ihnen helfen, sich gut vorzubereiten. Solche Bücher sind mit ein Grund dafür, warum heute wieder viele Frauen ihre Kinder zu Hause auf die Welt bringen oder ambulant entbinden und wenige Stunden nach der Geburt wieder zu Hause sind. In beiden Fällen bleiben die Säuglinge bei ihren Müttern. Keiner kann ihnen Zuckerwasser geben und dadurch ihr Gehirn durch ein Abfallen des Blutzuckerspiegels schädigen. Das Kind kann gleich an die Brust gelegt werden, so daß sein Blutzuckerspiegel konstant und seine Gehirnzellen ohne Schaden bleiben. Die älteren Geschwister können den Stolz und die Begeisterung über das neue Baby unmittelbar miterleben. Die Teilhabe des stolzen Vaters steht für ein familiäres Zusammengehörigkeitsgefühl, das kaum in dieser Form entstehen kann, wenn die Mutter nicht zu Hause ist.

Frauen, die lieber noch länger in der Klinik bleiben möchten, bietet das »rooming-in« die wunderbare Möglichkeit, dem Kind schon bald und oft die Brust zu geben, weil es bei der Mutter im Zimmer liegt. Natürliche Geburt, aktive Teilhabe des Vaters und rooming-in sind so wichtig für das Wohlergehen des Kindes, daß es sich lohnt, viel Mühe darauf zu verwenden, eine Klinik und einen Arzt zu finden, die diese Möglichkeiten bieten.

Erfolgreiches Stillen

Glück haben die Mütter heute auch insofern, als sie die besten Aussichten auf Erfolg haben, wenn sie ihr Kind stillen wollen. In der Vergangenheit waren erschreckend viele Mütter nicht in der Lage, ihr Kind zu stillen; die meisten Frauen, für die ich im Laufe der Jahre Diätpläne zusammengestellt habe, wollten ihr Kind aber gern stillen.

Es ist unglaublich, was auf diesem Gebiet die bemerkenswerten Frauen, die sich in der Internationalen La Leche Liga zusammenschlossen, zuwege gebracht haben. Diese Mütter haben alle ihre Kinder meist so lange gestillt, bis diese von selbst auf die Brust verzichteten. Sie haben gemeinsam erfolgversprechende Lösungen für zahllose Probleme ausgearbeitet, warum viele Mütter früher nicht stillen konnten: Verstopfte Milchgänge, flache, eingezogene oder rissige, wunde Brustwarzen, Brustentzündungen, Infektionen oder Abszesse, das Stillen nach einer Frühgeburt oder einem Kaiserschnitt, die Probleme mit Diuretika oder Kontrazeptiva (»Antibabypille«) und Dutzende anderer Faktoren, die oft die Absicht der Mutter, zu stillen, vereiteln.

Die La Leche Liga gibt es auch in Deutschland. Wenn Sie Ihr Kind stillen möchten, sollten Sie unbedingt schon in einem frühen Stadium der Schwangerschaft Kontakt mit diesen Frauen aufnehmen. Informationsmaterial und Nachweis lokaler Stillgruppen erhalten Sie von der La Leche Liga Deutschland e.V., Postfach 96, 8000 München 65, oder auch von der Arbeitsgemeinschaft freier Stillgruppen, Sylvia Brunn, Rheingaustr. 14, 5429 Welterod. Ich hatte Gelegenheit, viele solcher Gruppen in Amerika kennenzulernen und kann nur sagen, daß diese Frauen einfach wunderbare Menschen sind. Wenn das Kind noch ganz klein ist, gibt es nichts Schöneres, als mit Frauen zusammen zu sein, die an denselben Dingen interessiert sind: das Bäuerchen, die Farbe des Stuhls, das erste Lächeln, ein neuer Zahn und etliches andere, was einen zu dieser Zeit fasziniert und 5 Jahre später vermutlich tödlich langweilt. Die Frauen der La Leche Liga oder auch anderer Stillgruppen werden schnell zu Freunden, ohne deren Ermutigung und moralischer Unterstützung man kaum die Kraft hätte, alle Ratschläge zu verwerfen, die nicht im besten Interesse des Kindes sind.

Mir wurde gesagt, daß 70 % der Frauen, die vor der Geburt wenigstens zu drei Treffen der La Leche Liga gehen, in der Lage sind, ihre Kinder zu stillen. Je öfter man zu den Treffen geht, desto weniger Probleme gibt es mit dem Stillen. Es lohnt sich sicher auch, die von der La Leche Liga herausgebrachten Bücher zu lesen. Auch andere Bücher, die man über die La Leche Liga beziehen kann, tragen dazu bei, diese Zeit zu einer spannenden und glücklichen Erfahrung zu machen.

Ich werde Frau Dr. Margaretha A. Ribble immer dankbar sein für ihr Buch »The Right of Infants«, das mir half, meine Mutterschaft wesentlich intensiver zu genießen. Dieses Buch kann ich ganz besonders empfehlen.

Besonders hilfreich erwies sich die La Leche Liga bei Frauen, die schon wiederholt versucht hatten, ihre Babys zu stillen.

Mutterschaft als Erfüllung

Man muß wissen, daß das Stillen viel mehr ist als nur eine bestimmte Art zu füttern. Diese Art der »Bemutterung« verleiht dem Kind Sicherheit und Glücksgefühle und fördert die volle Entfaltung seiner körperlichen, geistigen und seelischen Anlagen. In einem Artikel über die Menschen von Okinawa wurde dieser Aspekt besonders deutlich. Im 2. Weltkrieg fiel ein schlimmerer Bombenregen auf Okinawa als auf irgendeinen anderen Teil der Welt damals. Ein großer Teil der dortigen Bevölkerung wurde schwer verwundet, sie ertrugen es aber klaglos. Keiner hatte einen hohen Blutdruck. Keiner hatte Magengeschwüre. Bei allen zeigte sich eine erstaunliche Fähigkeit, Schmerz zu ertragen und trotzdem nach außen hin noch bemerkenswert fröhlich und glücklich zu wirken. Eine Gruppe von Psychiatern, die diese Leute untersucht hatte, kam zu dem Ergebnis, daß sie diese bewundernswerten Eigenschaften der Tatsache verdankten, daß sie alle als Kinder Liebe und Sicherheit erfahren hatten, indem sie so lange gestillt worden waren, wie sie es brauchten. Ich bin schon seit langem überzeugt davon, daß man bei genauer Beobachtung von Kindern feststellen kann, welche von ihnen einige Monate gestillt worden sind und welche nicht. Wenn ein Kind aus sich herausgeht, glücklich, warmherzig, freundlich, gesund und schmusig wie ein Kätzchen ist, kann man sicher sein, daß es zumindest so lang die Brust bekommen hat, daß seine emotionalen Bedürfnisse als Säugling befriedigt worden sind.

Gefaßt sein auf Entmutigung

Häufig stößt die Absicht der werdenden Mutter, ihr Kind zu stillen, von allen Seiten auf Ablehnung: Verwandte, Krankenschwestern und selbst Kinderärzte äußern sich negativ dazu. Die Kinderärzte bekommen ständig medizinische Zeitschriften in die Hand, die voll sind von Anzeigen für Säuglingsnahrung, Fläschchen, Sterilisatoren und anderen Utensilien, die irgendwelchen Firmen Geld einbringen und Sie vom Stillen abhalten sollen. Aufgrund des Werbetextes muß der Arzt zu der Überzeugung gelangen, daß Flaschennahrung genauso gut wie Muttermilch ist, was absolut unwahr ist. Wortgewandte Handelsvertreter, die am Verkaufserfolg und nicht an der Gesundheit Ihres Kindes interessiert sind, bestätigen diesen Eindruck und wiederholen dieses Argument so oft, daß selbst gut geschulte Ärzte gewöhnlich daran glauben. Außerdem haben die Ärzte in der Ausbildung wesentlich mehr mit Entwöhnungstechniken und der Zusammensetzung von Säuglingsnahrungen zu tun als mit der Frage, wie eine Frau am besten stillen kann. Kinderärzte und Kinderschwestern haben vielfach eine so negative Einstellung zum Stillen, daß sich viele Mütter davon abbringen lassen. Derzeit werden nur 25 Prozent der Säuglinge wenigstens 5 Tage lang gestillt. Glücklicherweise trägt die La Leche Liga viel dazu bei, diesen bedauerlichen Umstand zum Guten zu verändern.

Wenn Sie die Absicht haben zu stillen, lassen Sie sich am besten von einer lokalen Stillgruppe bei der Wahl eines Kinderarztes helfen, der eine positive Einstellung zum Stillen hat. Wenn die Kinder des Arztes selbst nicht gestillt worden sind, wird der Ihnen kaum im Fall von Komplikationen helfen können. Die La Leche Liga nennt Ihnen eine Frau, die ihre Kinder gestillt hat und die Ihnen bei der Überwindung eventueller Schwierigkeiten behilflich sein kann.

Warum das Stillen so wichtig ist

Es besteht kein Zweifel, daß die Muttermilch einer gesunden Mutter vom Nährwert her wertvoller ist als jede Flaschennahrung. Daneben gibt es aber noch viele andere Gründe, warum die Brust der Flaschennahrung vorzuziehen ist: Stillen ist einfacher. Man muß keine Flaschen auswaschen und sterilisieren, keine Fläschchen zubereiten oder mitten in der Nacht aufwärmen. Das Füttern ist bequem, und die Milch ist immer richtig temperiert. Während des Stillens kann man sich ausruhen, lesen oder mit Freunden telefonieren. Man spart viel Geld, weil man keine Fläschchen, Säuglingsnahrung und nichts zum Sterilisieren kaufen muß. In der Nacht kann man den Säugling zum Stillen ins Bett holen, und Mutter und Kind können zusammen wieder einschlafen. Stillende Mütter haben seltener starke Blutungen. Zwischen Mutter und Kind entsteht ein besonders enger Kontakt. Es heißt, daß durch das Stillen »das Kind der Mutter erst wirklich gehört«: Flaschenkinder können auch von jedem anderen gefüttert werden. Insofern stärkt das Stillen auch das Selbstbewußtsein. Wichtiger noch aber ist die Tatsache, daß sich Mutter und Kind näherkommen und eine engere Beziehung entwickeln. Auch bei der Flasche läßt sich ein enger Kontakt herstellen, wenn man das Kind zum Füttern auf den Arm nimmt und liebkost und so auf die seelische Entwicklung des Kindes positiv einwirkt. Aber die Mutter, die ihrem Kind die Brust gibt, muß ihm nicht die Flasche halten.

Pro und kontra Stillen

Die La Leche Liga ist der Ansicht, daß man keine Frau zwingen soll, wenn sie nicht stillen will. Ich bewundere diese tolerante Haltung, halte sie aber für falsch. Wenn Sie sich noch nicht entschieden haben, flehe ich Sie an, aufgeschlossen zu bleiben und sich zu überlegen, ob Sie Ihr Kind nicht wenigstens eine kurze Zeit lang stillen wollen.

Im Laufe der Jahre habe ich wortwörtlich von Hunderten von Frauen gehört, daß sie es bedauern, ihr Kind nicht gestillt zu haben. Sie haben irgendwie das Gefühl, um etwas betrogen worden zu sein. »Ich hätte so gern gewollt«, sagen sie, »aber . . .« Mal sind es die Verwandten, Schwestern oder Ärzte, die davon abgeraten haben, mal haben sie Mittel zum Abstillen bekommen, mal waren ihre Kinder so übersättigt mit Zuckerwasser, daß sie nicht mehr saugen wollten. Diese Frauen hätten stillen können, wenn sie etwas Unterstützung gefunden hätten. Einige Frauen, die ich kenne, haben es so sehr bereut, ihr Kind mit der Flasche aufgezogen zu haben, daß sie noch ein zweites Kind wollten, das sie dann bis zur Entwöhnung stillten. Jede dieser Frauen hätte sich jemanden gewünscht, der sie schon vorher zum Stillen überredet hätte.

Brustkinder sind erstaunlich resistent gegen Infektionen. Ich könnte mir vorstellen, daß sich Mütter, die nachts voll Sorge am Bett ihres kranken Kindes wachen, wünschen, jemand hätte sie dahingehend beeinflußt, das Kind zu stillen.

Bei Brustkindern sind Allergien selten, während von 15 Flaschenkindern durchschnittlich eines allergisch ist. Gestern erst sah ich eine Mutter, deren vierzehnjährige Tochter seit dem frühen Säuglingsalter an Asthma leidet. Ich fragte sie, wieviel sie die Arztrechnungen wegen dieser Allergie ungefähr gekostet hätten. Ohne zu zögern meinte sie, »mindestens 15 000 Dollar, wahrscheinlich mehr.« Ich vermute, ihr wäre es lieb, wenn sie jemand dazu überredet hätte, ihrer Tochter die Brust zu geben.

Offenbar kommt es bei Brustkindern nicht so häufig zu einem plötzlichen Tod im Säuglingsalter, der jedes Jahr etwa 20 000 scheinbar gesunden Kindern das Leben kostet.

Es spricht so viel für das Stillen, daß man nicht flüchtig darüber hinweggehen kann. Unser Land braucht mehr glückliche und widerstandsfähige Kinder und mehr frohe und zufriedene Mütter.

Entschließen Sie sich

Ich sprach einmal mit drei jungen Müttern, die alle ihr Kind gern gestillt hätten. Die eine hatte es gar nicht erst versucht, weil sie »die Pille« nahm, die andere meinte, sie hätte Hohlwarzen und es ginge nicht, und die dritte hat aufgehört, weil ihre Milch weniger wurde, nachdem sie relativ früh mit Festnahrung begonnen hatte. Wenn diese Frauen schon in der Schwangerschaft rechtzeitig Kontakt mit der La Leche Liga aufgenommen oder entsprechende Literatur gelesen hätten, hätten alle drei ihr Kind stillen können.

Stillen können heißt, die Lösung eines Problems kennen, noch bevor das Problem auftaucht. Die La Leche Liga weiß, was zu tun ist.

Quelle: Adelle Davis: „Wir wollen gesunde Kinder“, Originaltitel: „Let’s have healthy children“ – Das Buch ist in Deutschland leider nicht mehr erhältlich.

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