Biotina


Das Frühstück…

 ist die Grundlage der Tagesarbeit

Um gesund zu sein und gesund zu bleiben, braucht man vierzig oder mehr Nährstoffe. Wertvolle, naturbelassene Nahrungsmittel, wie zum Beispiel Milch (aber nur, wenn sie nicht „verarbeitet“ ist), können alle vierzig Nährstoffe bereitstellen; jedoch hochraffinierte Nahrungsmittel, wie zum Beispiel Zucker, liefern nur einen einzigen. Deswegen kommen beim Menschen wahrscheinlich niemals nur einseitige Mangelerscheinungen vor. Ein Mensch, der sich falsch ernährt, leidet zur gleichen Zeit an verschiedenen, sich überschneidenden Mangelerscheinungen. Die Kennzeichen einer einzelnen Mangelerscheinung, wie sie bei Tieren beobachtet wurde, die mit einem Futter ernährt wurden, dem nur ein einziger Nährstoff fehlt, sind viel einfacher als die Symptome, die man bei Menschen findet. Deswegen ist die Besprechung der einzelnen Mangelerscheinungen in diesem und in den folgenden Kapiteln notgedrungen vereinfacht und unrealistisch. Ein einziger Mangel kann jedoch andere Mangelerscheinungen überschatten. Eine Unterversorgung von Zucker etwa, die nur wenige Stunden anhält, kann Ihnen den ganzen Tag verderben.

Wie Sie sich den Tag über fühlen werden, bestimmen Sie durch die Art Ihres Frühstücks. Essen Sie von einer falschen Nahrung zu wenig oder zu viel, können Sie Ihre Leistungsfähigkeit untergraben. Ihr Frühstück ist dafür maßgebend, wie schnell Ihr Körper Energie produzieren kann, oder besser gesagt, wieviel Zucker Ihr Blut enthält. Ihre Energieproduktion, die mit der Qualität des vorrätigen Zuckers eng zusammenhängt, entscheidet, wie Sie denken, sich benehmen und sich fühlen. Durch die Verbrennung (Oxydation) von Zucker allein oder von Zucker und Fett zusammen entsteht in Ihrem Körper Energie. Nur wenn das Blutplasma genügend Zucker enthält, kann jede Zelle soviel davon entnehmen, wie sie braucht.

Der Blutzucker ist ein Index für die Menge, die jeder Zelle zur Verfügung steht. Tausende von Blutanalysen haben gezeigt, daß ein normaler Mensch, der innerhalb der letzten 12 Stunden nichts gegessen hat, 80 bis 120 Milligramm Zucker in 100 cm3 Blut hat. Diese Zahl, die man »Nüchternblutzucker« nennt, hängt von der Art und der Menge der Nahrung ab, die man bei der letzten Mahlzeit aufgenommen hat. Durchschnittlich hat man 90 bis 95 Milligramm Zukker im Blut. Bei dieser Zahl wird noch genügend Energie produziert. Wenn jedoch der Zuckervorrat zur Neige geht, dann läßt die Energieproduktion nach und man fängt an, müde zu werden. Wenn der Zuckergehalt bis auf etwa 70 Milligramm absinkt, ist Hunger zu erwarten und aus Mattigkeit wird allmählich Müdigkeit. Sinkt der Blutzucker bis auf 65 Milligramm, empfindet man oft eine Begierde nach Süßigkeiten oder ein Knurren im Magen oder beides. Ein weiterer Abfall der Zuckerzufuhr bewirkt, daß die Müdigkeit in Erschöpfung übergeht. Meistens kommt es zu Kopfweh, Schwäche und Schwindelgefühlen, vielleicht spürt man Herzklopfen, man wird schwach in den Beinen, oft fühlt man sich übel und muß erbrechen.

Nerven- und Gehirnzellen können Ihre Energie nur aus Zucker gewinnen, niemals aus Fett oder Protein allein. Selbst wenn die Zuckermenge, die diesen Zellen zur Verfügung steht, nur geringfügig abfällt, wird das Denken langsam und verwirrt, und die Nerven geraten in einen Spannungszustand. Wenn der Blutzucker eines Menschen unter das normale Maß absinkt, bekommt er eine immer schlechtere Laune, wird mürrisch, traurig, pessimistisch und verliert die Arbeitslust. Da das Gehirn seine Energie nur aus Zucker bezieht, kann es bei sehr niedrigem Blutzuckerspiegel geschehen, daß man schwindlig wird oder in Ohnmacht fällt. Wenn andererseits die Nahrungsaufnahme ausreichend ist, um den Blutzuckerspiegel wieder über den Nüchternwert ansteigen zu lassen, dann wird es leicht, Energie zu produzieren; Sie fühlen sich wohl und voller Schwung, Ihr Denken ist schnell und klar. Sie haben kein Bedürfnis nach Essen; Süßigkeiten verlocken nicht. Sie sind sehr guter Laune, Sie benehmen sich freundlich, fröhlich und entgegenkommend. In diesem Zustand ist das Leben angenehm.

Über die Faktoren, die den Blutzuckerspiegel beeinflussen, sind viele Versuche gemacht worden. Bei einer Untersuchungsreihe bekamen 200 Personen verschiedene Arten von Frühstück. Vor der Mahlzeit hatte man bei jedem den Blutzucker bestimmt, und danach wiederholte man die Bestimmung stündlich für die Dauer von drei Stunden. Bei denen, die nur schwarzen Kaffee getrunken hatten, ging der Blutzucker herunter, sie fühlten sich matt, reizbar, nervös, hungrig, müde, erschöpft und hatten Kopfschmerzen. Diese Symptome wurden im Laufe des Vormittags immer schlimmer. Zwei Krapfen und Kaffee mit Zucker und Sahne verursachten einen starken Anstieg des Blutzuckerspiegels; doch innerhalb einer Stunde fiel der Blutzucker wieder bis auf ein niedriges Niveau, wodurch die Leistungsfähigkeit wieder zurückging und Müdigkeit einsetzte.

Man wählte ein Standardfrühstück aus, eine typische Morgenmahlzeit, wie sie von Millionen Amerikanern genossen wird: ein Glas Orangensaft, zwei Scheiben Magerspeck, Toast, Marmelade, Kaffee mit Sahne und Zucker. Der Blutzucker stieg schnell, fiel jedoch innerhalb einer Stunde bis tief unter das Niveau, das er vor dem Frühstück gehabt hatte, und blieb bis zur Mittagszeit niedrig.

Das nächste Frühstück war das gleiche, nur gab man ein Päckchen Getreideflocken dazu. Wieder stieg der Blutzucker schnell, wieder sank er schnell ab und blieb den ganzen Morgen unter dem normalen Niveau. Das fünfte Frühstück war das Standardfrühstück, dazu Haferflocken mit Milch und Zucker. Der Blutzucker stieg schnell, fiel jedoch noch schneller ab und noch tiefer als bei irgendeinem anderen Frühstück der Versuchsreihe. Dann gab es zu dem Standardfrühstück aus Orangensaft, Magerspeck, Toast, Marmelade und Kaffee zusätzlich ein Glas Milch, das man mit 21/2 Eßlöffeln Magermilchpulver angereichert hatte. Nach dieser Mahlzeit stieg der Blutzucker über Normalstand und blieb während des ganzen Vormittags bei etwa 120 Milligramm; die Versuchspersonen fühlten sich ungewöhnlich wohl. Dann servierte man zwei Eier statt der angereicherten Milch; wieder behielt man hohe Leistungsfähigkeit. Das letzte Frühstück war das Standardfrühstück, dazu Eier oder angereicherte Milch und größere Mengen Toast und Marmelade; die Leistungsfähigkeit blieb ebenfalls hoch.

Die Wissenschaftler untersuchten dann das Befinden der Testpersonen im Laufe des Nachmittags. Zum Mittagessen bekamen alle, die die verschiedenen Arten von Frühstück zu sich genommen hatten, eine Scheibe Vollweizenbrot mit Streichkäse und ein Glas Vollmilch. Jede Stunde wurden die Blutproben abgenommen. In allen Fällen stieg der Blutzucker bald nach dem Mittagessen. Diejenigen, die zum Frühstück Eier oder angereicherte Milch bekommen hatten, behielten den ganzen Nachmittag über einen hohen Blutzucker. Wenn bei entsprechendem Frühstück der Blutzucker nach dem Mittagessen nur während weniger Minuten eine Höhe erreichte, die Fröhlichkeit und Arbeitslust gewährleistete, sank er danach doch gleich wieder tief herunter und blieb den ganzen Nachmittag so. Die Art des Frühstücks entscheidet also darüber, ob man sich den ganzen Tag müde oder frisch fühlt.

Eine ähnliche Untersuchung wurde von Thorn und Mitarbeitern an der Harvard-Universität durchgeführt. Die Versuchspersonen erhielten Mahlzeiten, die reich an Kohlenhydraten (Zucker und Stärke), Fett Fett oder Proteinen waren. Sechs Stunden nach dem Essen wurde der Blutzuckerspiegel ermittelt. Das kohlenhydratreiche Frühstück bestand aus Orangensaft, Magerspeck, Toast, Gelee, Fertigflocken und Kaffee, die beiden letzten mit Zucker und Milch. Der Blutzucker stieg sehr schnell, fiel aber dann extrem tief ab, so daß es zu Müdigkeit und Kraftlosigkeit kam. Nach einem Frühstück mit viel Fett, welches aus verpackten Getreideflocken mit Schlagsahne bestand, stieg der Blutzucker ein wenig und hielt sich während des Morgens auf dem Nüchternspiegel. Ein Frühstück mit hohem Eiweißgehalt bestand aus Magermilch, magerem Hackfleisch und Quark. Der Blutzucker stieg langsam bis auf den hohen Spiegel von 120 Milligramm und blieb dort während der nächsten sechs Stunden. Um die Wirkung verschiedener Arten von Ernährung auf die Energieproduktion zu erforschen, untersuchte man mehrmals den »Grundumsatz« (ein Maß für die Funktion des Stoffwechsels). Der Grundumsatz bzw. die Energieproduktion stieg nach den Mahlzeiten mit hohem Fett- oder Kohlenhydratgehalt nur geringfügig an. Doch nach einer Mahlzeit mit viel Protein stieg der Grundumsatz schneller als der Blutzucker und blieb während der sechs Stunden des Versuchs auf gleicher Höhe.

An vielen Universitäten hat man ähnliche Untersuchungen durchgeführt. Immer waren die Ergebnisse die gleichen: Das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit in der Zeit nach dem Essen hängen von der Proteinmenge ab, die man verzehrt hat. Die Mahlzeiten, die regelrecht Lebensfreude produzieren, enthalten etwas Fett und eine gewisse Menge Kohlenhydrate. Nur wenn Zucker als Energiequelle kombiniert ist mit Eiweiß und Fett, die den Verdauungsprozeß verlangsamen, geht er allmählich ins Blut über und die Leistungsfähigkeit bleibt viele Stunden lang auf einem hohen Niveau. In Amerika sind Zucker und Stärke billig und im Überfluß vorhanden, Proteine sind teuer und knapp. Deswegen besteht ein typisch amerikanisches Frühstück aus Obst oder Saft, wodurch man natürlich Zucker bekommt, Getreideflocken, Pfannkuchen, Waffeln, Kuchen, Toast und anderen Stärkeprodukten, die bei der Verdauung schnell in Zucker umgewandelt werden. Meistens wird den Getreideflocken und dem Kaffee noch raffinierter Zucker zugefügt und man ißt vielleicht noch Marmelade oder Gelee. So gehen große Zuckermengen schnell ins Blut über. Der Blutzucker kann in wenigen Minuten von 80 bis auf 155 Milligramm steigen. Jede schnelle Steigerung aber regt das gesunde Pankreas (die Bauchspeicheldrüse) an, Insulin abzugeben. Nun regt das Insulin seinerseits die Leber und die Muskeln an, den Zucker festzuhalten und als Stärke oder Glykogen (Leberstärke) zu speichern, oder in Fett umzuwandeln, so daß er nicht im Urin verlorengehen kann. Doch wenn die kohlenhydratreiche Mahlzeit weiter verdaut wird, geht immer mehr Zucker ins Blut über. Nun folgt sozusagen ein Hilferuf an das Pankreas: »Schicke mir Insulin, mehr, mehr! « Das Pankreas gehorcht; es ist überreizt, und weil es so gut arbeitet, sendet es zuviel. Diese riesigen Zuckermengen gehen gleichsam über den Zweck, für den der Zucker benötigt wird, schnell Energie erzeugen zu können, hinaus. Da nun zuviel Insulin im Blut kreist, wird auch zuviel Zucker festgehalten und das Resultat ist, paradoxerweise, Müdigkeit. Je mehr Kohlenhydrate gegessen werden, desto größer ist diese Überproduktion an Insulin. Bei den genannten Studien wurde zum Beispiel die höchste Zuckermenge während der Verdauung des Frühstücks mit Haferflocken freigesetzt. Ißt man an einem Tag drei Mahlzeiten mit vielen Kohlenhydraten, so kommt das Pankreas in einen Zustand der Überaktivität: Es wird zuviel Insulin zu schnell produziert. Wer sich häufig so ernährt, versetzt sich gewissermaßen selbst einen innerlichen Insulinschock.

Ein Spezialist für Zuckerkrankheit hat auf diese Tatsache hingewiesen. Er bemerkte bei Patienten, die nicht zuckerkrank waren, Symptome eines Insulinschocks. Da in Amerika die Mahlzeiten zum größten Teil aus Kohlenhydraten bestehen, kommt ein Insulinschock, den man selbst verursacht, häufiger vor als man glaubt. Doch können die gleichen Symptome auch auftreten, wenn der Blutzuckerspiegel sehr tief unter das normale Niveau fällt. Dies geschieht, wenn man nichts gegessen hat, oder der vorhandene Zucker durch körperliche Anstrengungen verbraucht ist. Zellen können nur wenig Glykogen speichern. Deshalb wird der überschüssige Zucker in Fett umgewandelt. Wenn also die Mahlzeit gut verdaut ist, bleibt das gespeicherte Glykogen die einzige normale Zuckerquelle, aus der es wieder in Zucker umgewandelt werden kann. Dieser Zucker ist jedoch insbesondere bei heftigen Anstrengungen schnell verbraucht. Die meisten Zellen verbrennen dann nur noch Fett, um Energie zu erzeugen. Doch wird Fett ohne Zucker nicht wirksam verbrannt. Es bleiben »Schlacke« und »Asche« in Form von Azeton und zwei Säuren zurück, die für den Körper schädlich sind.

Die Spannkraft läßt nach und die Säuren richten Schaden an. Doch Gehirn und Nerven brauchen Zucker, um funktionieren zu können. Daher geben die Nebennieren Cortison, ab, wodurch Zellen vernichtet werden, deren Protein teilweise in Zucker umgewandelt werden kann. Schlechte Eßgewohnheiten zwingen also das Nervensystem, ein Parasit zu werden, der von anderen Körpergeweben lebt.

Wenn Sie dieses Zerstörungswerk öfters geschehen lassen, dann werden Ihnen, wenn Sie in den Spiegel schauen, die dunklen Ringe und Säcke um Ihre Augen gar nicht gefallen. Wenn Sie jedoch beim Frühstück ein wenig Zucker und Fett und auch etwas Protein gegessen haben, dann geht die Verdauung langsam vor sich. Der Zucker tropft in das Blut und erhält Stunde um Stunde ihre Energie, die Insulin-Produktion wird nicht überreizt, die Speicherung von Glykogen geht normal vor sich, und das unbeliebte Fett wird nicht erzeugt. Die Energie veranlaßt den Körper zur Aktivität, so daß die nötige Wärme erzeugt oder bei warmem Wetter das Kühlsystem eingeschaltet wird.

Proteine werden in Gramm gemessen. Ein Ei liefert zum Beispiel 6 Gramm Protein, ein Liter Milch 35 Gramm. Bei den Versuchen, von denen ich sprach, stellte sich heraus, daß nur dann, wenn man bei einer Mahlzeit 22 Gramm Protein oder mehr gegessen hatte, drei Stunden nach dem Essen noch genügend Energie erzeugt wurde. Eine Mahlzeit mit 55 Gramm Protein ergab noch sechs Stunden nach der Mahlzeit ein hohes Energieniveau und einen hohen Grundumsatz. Es zeigt sich also: Je mehr Eiweißstoffe in einer Mahlzeit enthalten sind, um so größer ist die Leistungsfähigkeit und um so länger hält sie an. Will man sich Stunden nach der Mahlzeit noch wohl fühlen, sollten Mittag- und Abendessen zusammen mit etwas Fett und Kohlenhydraten reichlich Protein enthalten. Andere Untersuchungen ergaben, daß im Sommer, wenn es heiß ist und wenig Protein gegessen wird, das Blutzuckerniveau niedriger ist als im Winter, wenn scharfer Wind den Appetit anregt.

Ein anderes Mittel, den Blutzuckerspiegel hochzuhalten – ausführliche Untersuchungen haben es bewiesen –, besteht darin, zwischen den Mahlzeiten zu essen. Was man gegen diese Methode anführt, ist, daß wertvolle Nährstoffe nicht immer vorhanden sind und man leicht in Versuchung kommt, wertloses Zeug zu essen. Außerdem nehmen viele dabei an Gewicht zu. Zwischenmahlzeiten, die sich als zweckmäßig erwiesen haben, enthalten Protein, Fett und Kohlenhydrate. Von den Zwischenmahlzeiten, die man bis jetzt studiert hat, liefert ein Glas Vollmilch mit 100 Kalorien zusammen mit frischem Obst die meiste Energie. Wenn wir nur eine typische Mahlzeit kritisch unter die Lupe nehmen, dann sehen wir unschuldige Dummheit zu einer Kunst erhoben. Das Frühstück enthält entweder zu wenig Zucker, um den Blutzuckerspiegel im Gleichgewicht zu halten, oder so viel Zucker, daß ein Überschuß an Insulin entsteht.

Zu Mittag wird meist zu wenig gegessen. Zwischenmahlzeiten bestehen, wenn überhaupt, meist aus Kaffee, süßen Getränken oder Süßigkeiten. Auf diese Art produziert man bis zum Nachtessen gar keine Energie. Abends wird zwar Protein gegessen, doch wird danach nicht immer Energie aufgebaut. Entweder ist die Ermüdung, die sich im Laufe des ganzen Tages angesammelt hat, zu groß, falls sie nicht durch Alkohol oder Kaffee überdeckt wird. Oder aber man hat so viel gegessen, daß man dadurch schläfrig wird. So kommt es vor, daß der Herr Gemahl in seinem Stuhl einschläft, während seine Frau sich bittere Gedanken über ihre Ehe macht. Bei gesellschaftlichen Anlässen schlägt man mit langweiligen, oberflächlichen Gesprächen die Zeit tot. Wenn es Zeit wird, zu Bett zu gehen, sind die Azetonkörper meistens ausgeschieden und das Essen ist größtenteils verdaut. Jetzt wird Energie frei, und man vergeudet sie im Schlaf wie ein Betrunkener, der seinen Rausch ausschläft.

Das eiweißreiche Frühstück ist keine neue Erfindung. Als ich jung war, gab es auf unserer Farm in Indiana zum Frühstück Haferflocken, Steaks, Schinken, Eier und riesige Platten mit Wurst oder gebratenem Huhn mit einer typischen Soße. Dazu stand immer ein großer Krug frischer Milch auf dem Tisch. Denken Sie nur an die englischen Romane, in denen immer ein Buffet-Frühstück mit Fisch, Fleisch, Eiern, warmen Getreideflocken und Gerichten mit Sahnesoßen ausführlich beschrieben werden. Ein Freund, der vor kurzem aus Skandinavien zurückkehrte, erzählte von einem Smörgasbord-Frühstück, bei dem 30 verschiedene Sorten Fisch, Käse und Fleisch serviert wurden. So massiv braucht ein Frühstück allerdings nicht zu sein.

Vielleicht wenden Sie ein, daß Sie morgens keinen Hunger haben, und das kann bedeuten, daß Sie am Abend vorher zuviel gegessen haben. Man bekommt nur dann Hunger, wenn der Blutzucker bis auf etwa 70 Milligramm absinkt; 12 Stunden nach einem üblichen Abendessen steht der Blutzucker meist bei 95 Milligramm oder sogar noch höher. Wenn man Energie sammeln will, ist es am besten, am späten Nachmittag eine Zwischenmahlzeit einzulegen. Das Abendessen sollte einfach sein und mit Liebe serviert werden: Suppen oder Salate, die so gut schmecken, daß jeder sich noch ein zweites Mal bedienen will, Fleisch oder ein Fleischersatz, vielleicht ein stärkearmes Gemüse, dazu Milch, Buttermilch, Joghurt und Obst.

Der Appetit kann befriedigt werden, und man genießt die Mahlzeit ohne Kartoffeln, Soße und Nachspeise, vorausgesetzt, man hat bei der Zwischenmahlzeit genug gegessen. Solch ein Essen ist einfach zuzubereiten, man hat weniger Umtrieb in der Küche und kann sich schon auf das Frühstück am nächsten Morgen freuen. Diesen kleinen Mahlzeiten tritt man mit dem Einwand entgegen, daß die Männer morgens oder mittags keine Zeit hätten, reichlich zu essen. Aber warum soll man denn überhaupt umfangreiche Mahlzeiten essen? Alle Mahlzeiten sollten einfach, sättigend und erfreulich sein. Wenn man Hunger hat, findet man immer Zeit zum Essen. Der gesunde Mann, der sich an einem eiweißreichen Frühstück nicht freuen würde, soll mir erst einmal begegnen!

Viele unserer nationalen Probleme könnten geradezu auf unsere fehlerhaften Eßgewohnheiten zurückgeführt werden; ein Drittel unserer Bevölkerung zum Beispiel ist zu dick. Wenn man nicht frühstückt, wird sich dieses Problem noch mehr verschlimmern. Achtundneunzig Prozent der Amerikaner haben schlechte Zähne, weil sie viel zuviel Zucker essen. Wird der Blutzucker hoch gehalten, vergeht der Drang nach Süßigkeit. Mattigkeit, Müdigkeit, Nervosität, Reizbarkeit und sogar Erschöpfung und verwirrtes Denken sind weit verbreitet. Dabei wäre es einfach, dem vorzubeugen oder sogar davon geheilt zu werden. Bei wirklich gesunden Menschen kann Müdigkeit an einem einzigen Tag in erstaunliche Vitalität verwandelt werden. Schulkinder sind schwierig zu behandeln und lernen oft zu langsam; eine Menge Steuergelder gehen so verloren. Unklares Denken ist in der Politik, im Gesellschaftsleben und in den Familien nur allzu weit verbreitet. Die größte Zahl der Autounfälle passiert, wenn der Blutzuckerspiegel am tiefsten ist, das Denken daher unscharf und die Reaktionen langsam sind. Unser übertriebener Verbrauch von Kaffee, Zigaretten und Alkohol steht in Beziehung zum Blutzuckerspiegel: Diese Genußmittel steigern die Produktion von Nebennierenhormonen, wodurch der Blutzucker sich vermehrt und jenes plötzliche Energiegefühl, das man so sehr braucht, entsteht. Doch bald wird wieder Insulin ausgeschieden, wodurch der Blutzuckerspiegel wieder sinkt. Reizbarkeit, die durch zu niedrigen Blutzucker entsteht, kann ein Grund für Ehekrisen sein. Auch Virusinfektionen bekommt man bei besonders niedrigem Blutzucker häufiger.

Wenn es im Sommer warm ist, hat man weniger Appetit auf Protein und mehr das Verlangen nach süßen, kalten Getränken und Eis; sportliche Betätigungen wie zum Beispiel Schwimmen verbrauchen den vorhandenen Zucker; die Folge ist Hitzemüdigkeit und schlechte Laune.

Es kommt nicht selten vor, daß man bei niedrigem Blutzucker schwindlig wird oder in Ohnmacht fällt. So konsultierte mich zum Beispiel eine Frau, die jedesmal in Ohnmacht fiel, wenn sie Einkäufe machte. Bei jedem Ausverkauf landete sie im Erste-HilfeRaum des betreffenden Kaufhauses. Sie mochte kein Frühstück, und wenn sie hungrig wurde, kaufte sie sich ein Pfund Süßigkeiten oder mehr und aß diese sofort auf. Etwa eine Stunde später fiel sie in Ohnmacht. Ein anderes Beispiel ist eine Studentin, die zu nervös war, um zu essen. Einige Zeit lang fiel sie mehrmals pro Tag in Ohmacht und konnte nicht mehr in die Vorlesungen gehen. Sie hatte so viele Unfälle und Beinahe-Unfälle, daß nur noch ihre Freunde ihr neues Cabriolet für sie fahren konnten. Ich kannte auch einen Maschinisten auf einem Luxusdampfer, der während seiner Arbeit in Ohnmacht gefallen war. Er hatte deshalb solche Angst bekommen, daß er Krankenurlaub genommen hatte. Seine Ernährung hatte größtenteils aus Kohlenhydraten bestanden. Leute, die schon einmal in Ohnmacht gefallen sind, wissen meistens, wann sie wieder damit rechnen müssen. Sie spüren dann Herzklopfen. Viele erzählten mir, daß sie in solch einem Augenblick gerade noch rechtzeitig ihren Wagen parken konnten. Wenn Sie nicht nur Ihr Auto, sondern auch Ihr Leben schätzen, dann gebe ich Ihnen den guten Rat, nie Auto zu fahren, wenn Ihr Blutzucker niedrig ist. Autofahren mit niedrigem Blutzucker ist fast genauso gefährlich wie Trunkenheit am Steuer.

Wenn sie sich schwach oder müde fühlen, wenn ihnen die Beine versagen und sie zur gleichen Zeit Herzklopfen spüren, glauben viele, daß sie einen Herzinfarkt bekommen. Vier Männer konsultierten mich in den letzten Monaten wegen ihrer Herzbeschwerden, drei davon hatten abends »Herzanfälle«. Der eine war den ganzen Tag auf der Jagd gewesen und hatte sein Mittagessen zu Hause liegenlassen. Der zweite, Besitzer einer Garage, war ohne zu frühstücken an die Arbeit gegangen und hatte zu viel zu tun gehabt, um Mittag zu essen. Ein dritter machte in den Bergen Urlaub. Er hatte vor dem Frühstück einen Spaziergang gemacht, entschloß sich, einen Berg zu besteigen, und hatte den ganzen Tag Sport getrieben, ohne zu essen. Der vierte mußte eine strenge Abmagerungskur machen. Seine »Herzanfälle« traten meistens zwischen drei und sieben Uhr nachmittags auf. Die Ärzte konnten an den Herzen dieser Männer nichts Krankhaftes finden, doch hatten alle große Angst, als sie das erste Mal zu mir kamen. Jeder nahm sich so in acht, als ob er ein zu früh geborenes Baby wäre, und das Leben der jeweiligen Familie drehte sich um »Vaters Herzgeschichte«. Jeder, der solche Symptome verspürt, sollte unter allen Umständen gleich seinen Arzt aufsuchen. Wenn der Arzt nichts finden kann, dann sollte er jedoch seinen Blutzucker untersuchen lassen.

Solange die Nebennieren gesund sind, kann man niedrigen Blutzucker leicht korrigieren, indem man Kaffee vermeidet und öfters kleine Mahlzeiten zu sich nimmt, die eiweißreich und frei von hochraffinierten Bestandteilen sind. Wenn man zu wenig Pantothensäure (B-Vitamin) bekommt oder wenn die Nebenniere durch »protrakierten Streß« (etwa langdauernde Anstrengung) erschöpft sind, können diese Drüsen nicht die notwendigen Hormone produzieren, die benötigt werden, um Leberstärke (Glykogen) in Zucker umzuwandeln. Deswegen bleibt der Blutzucker so lange niedrig, bis geeignete Nährstoffe die Drüsenarbeit wieder ermöglichen. Auch wenn zu wenig Kalium in den Zellen ist, kann kein Glykogen produziert werden, wodurch der Blutzucker niedrig bleibt. Wenn der Blutzucker extrem niedrig ist, dann können Reizbarkeit, nervöse Spannungen und seelische Depressionen sich derart steigern, daß der betreffende Mensch leicht tobsüchtig werden kann. Haben sich Haß, Verbitterung und Groll in einer Seele festgefressen und bringt noch ein zusätzlicher Ärger einen Menschen so weit, daß er entweder nur zu einer Nascherei greift oder überhaupt nichts mehr essen kann, dann sind alle unheilvollen Voraussetzungen erfüllt: Es kann zu Gewalttätigkeiten und Streitigkeiten kommen. Jetzt brauchen nur noch eine Schußwaffe, eine Gasleitung oder Rasierklingen in Griffnähe zu sein, und man hat die Situation, in der es zu Morden und Selbstmorden kommt. Die heutige Ernährung ist wahrhaftig in mehr als einer Beziehung gefährlich geworden!

Dabei könnten wir uns zu jeder Stunde, die wir in wachem Zustand verleben, uneingeschränkt wohl und leistungsfähig fühlen. Sie können Ihre Mahlzeiten so planen, daß Sie für den Zeitpunkt, an dem Sie am meisten brauchen, die notwendige Energie zur Verfügung haben. Wenn Sie im Akkord arbeiten, sollten Sie vor Arbeitsbeginn eine Mahlzeit mit höchstem Eiweißgehalt zu sich nehmen.

Die allgemeine Regel sollte sein: frühstücken wie ein König, zu Mittag essen wie ein Bürger, zu Abend essen wie ein Bettler.

 Quelle: Adelle Davis: „Jeder kann gesund sein“, Originaltitel: „Let’s eat right to keep fit“ (1970) – Das Buch ist in Deutschland leider nicht mehr erhältlich.

Einen Kommentar schreiben

Newsletter